Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) kann im Werkvertragsrecht kein Ersatz fiktiver Mängelbeseitigungskosten verlangt werden. Nach der neuesten Rechtsprechung des Oberlandesgerichts (OLG) Köln vom 19.10.2022, Az. 11 U 247/21 gilt dieser Ausschluss jedoch nicht für Mangelfolgeschäden an Bauteilen außerhalb des Gewerks des Unternehmers.
Schäden an anderen Gewerken
Der Entscheidung des OLG Köln lag eine Klage eines Bauherrn zugrunde, der mehrere Unternehmer mit dem Neubau seines Einfamilienhauses beauftragt hatte. Der Rohbauer war damit beauftragt, außen eine Sockelabdichtung herzustellen. Daneben sollte ein Dachdecker Abdichtungsarbeiten an der Terrassentür sowie der Haustür ausführen. Beide Unternehmer arbeiteten mangelhaft. Kurze Zeit nach Errichtung des Einfamilienhauses zeigten sich feuchte Stellen im Erdgeschoss, die bis auf 50 cm vom Erdboden die Wände hochstiegen. Es kam zur Bildung von Schimmelpilz und Bakterien. In den betroffenen Bereichen wurden umfangreiche Sanierungsarbeiten notwendig, wie die vollständige Erneuerung des Bodenaufbaus.
Der Bauherr erhielt ein Angebot für die Sanierungsarbeiten in Höhe von 55.000 Euro, lies diese aber nicht durchführen. Das Angebot betraf nicht die Beseitigung der vom Rohbauer und Dachdecker verursachten Mängel, sondern die Beseitigung des Schimmels an anderen Bauteilen, wie Putz oder Estrich mit Dämmung. Mit seiner Klage nahm er den Dachdecker wie auch den Rohbauer als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Höhe der voraussichtlichen Sanierungskosten und der Gutachterkosten in Anspruch. Das Landgericht gab dem Kläger Recht und sprach den Schadensersatzanspruch zu. Die beiden Unternehmer stellten sich hiergegen mit ihrer Berufung und wendeten vorwiegend ein, dass der Bauherr nach der Grundsatzentscheidung des BGH vom 22.02.2018 – VII ZR 46/17 keine Schäden fiktiv – also ohne konkrete Beseitigung - abrechnen dürfe.
Mangelfolgeschäden betreffend das Integritätsinteresse
Dem folgte das OLG Köln nicht. Es stellte fest, dass der Bauherr die voraussichtlichen Sanierungskosten als fiktive Mängelbeseitigungskosten abrechnen kann. Die Rechtsprechung des BGH greife nur für den Schadensersatzanspruch statt der Leistung gem. §§ 634 Nr. 4,280 Abs. 1 und 3, 281 BGB. Hierbei sei das Äquivalenzinteresse bzw. Erfüllungsinteresse betroffen, bei dem der Gläubiger auf die ordnungsgemäße Einhaltung der Leistung aus dem Vertrag vertraue.
Die vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzansprüche beziehen sich jedoch auf Bauteile, die nicht den Gewerken des Rohbauers und des Dachdeckers zuzuordnen seien. Es würde sich dabei um Folgeschäden der mangelhaften Leistung der Unternehmer handeln, wodurch das Integritätsinteresse des Klägers betroffen sei. Dieses Interesse des Klägers ist auf die Unversehrtheit seiner Rechtsgüter gerichtet und unabhängig vom konkreten Vertrag. Die Beseitigung der Folgeschäden sei daher nicht vom Nacherfüllungs- bzw. Vorschussanspruch gem. § 634 Nr. 2,637 BGB erfasst, sodass sie fiktiv abgerechnet werden können. Andernfalls würde dem Besteller die Vorfinanzierung der Schadensbeseitigung aufgezwungen, die nicht dem vertraglichen Verhältnis zuzuordnen ist.
Daneben hat das OLG klargestellt, dass die Rechtsprechung des BGH eine Überkompensation des Bestellers bei der Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten vermeiden soll. Diese Gefahr der Überkompensation, d. h. einer nach allgemein schadensrechtlichen Grundsätzen nicht gerechtfertigten Bereicherung des Bestellers, liege in der vorstehenden Konstellation nicht vor.
Genaue Abgrenzung zwischen den betroffenen Rechtsgütern
Das OLG Köln wendet in seiner Entscheidung die Grundsätze, die der BGH aufgestellt hat, zutreffend an. Die Möglichkeit einer Vorfinanzierung der Schäden durch den Vorschussanspruch gemäß §§ 634 Nr. 2,637 BGB besteht nicht im Zusammenhang mit Mangelfolgeschäden. Der Besteller kann gegen den Unternehmer mit Blick auf Beschädigungen an den Werken Dritter, die sich als Folge etwaiger Mängel ergeben, keinen solchen Vorschussanspruch geltend machen.
Die Rechtsprechung des BGH gilt jedoch weiterhin für Mängel, die das Erfüllungsinteresse an einer mangelfreien Leistung betreffen. Für diese darf der Besteller nicht fiktiv Ersatz verlangen. Er muss weiterhin den Mangel tatsächlich beseitigen und die Mängelbeseitigungskosten als Schaden geltend machen oder den Vorschuss über § 634 Nr. 2, 637 BGB verlangen und anschließend über die Beseitigung abrechnen.
Die Entscheidung vom OLG Köln ist auch für Architekten und Ingenieure relevant. Im Bauwerk realisierte Planungs- oder Überwachungsfehler sind keine Mangelfolgen, da aufgrund der engen Verknüpfung zwischen Planung und Bauwerk ein Planungsmangel das Leistungsinteresse betrifft. Hierüber kann nicht fiktiv abgerechnet werden. Führt ein solcher Planungs- oder Überwachungsmangel aber zu weiteren Folgeschäden, ist eine Bemessung nach den fiktiven Kosten möglich. Die Abgrenzung erscheint schwierig und es ist in Zukunft genau darauf zu achten, ob es sich um Mängel am Gewerk oder um Folgeschäden handelt.