Lärmzunahme durch planbedingten Mehrverkehr

15.04.2023

Weist eine Gemeinde ein neues Verbrauchermarktzentrum aus, sollte sie nicht leichtfertig über die Auswirkungen der Verkehrszunahme in der näheren Umgebung hinweggehen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Verkehrszunahme offenkundig oberhalb der Bagatellgrenze liegt. Diese keineswegs neue Erkenntnis musste sich kürzlich die Stadt Büdingen vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) ins Pflichtenheft schreiben lassen. Die Entscheidung erging im Normenkontroll-Eilverfahren (Beschluss vom 4. August 2022 – 3 B 701/22.N –, juris; vgl. auch VGH München, Beschluss vom 1. Februar 2023 - 15 NE 23.56 -, juris).

Sondergebiet großflächiger Einzelhandel

Die Stadt machte das, was landauf, landab zur gängigen Praxis gehört: Um die gewünschte Ansiedlung eines Vollsortimenters, eines Discounters und eines Drogeriemarktes zu ermöglichen, stellte sie einen Bebauungsplan auf. Dieser enthielt im Wesentlichen die Festsetzung eines Sondergebiets für großflächigen Einzelhandel. Angrenzend zum Plangebiet befand sich ein bereits vorhandenes Gewerbegebiet. Dort waren Wohnungen für Betriebsleiter als Ausnahme zugelassen. Im Planaufstellungsverfahren wurde ein Verkehrsgutachten eingeholt. Der Gutachter kam zum Ergebnis, dass mit einer Zunahme des Verkehrs im Umfang von etwa 2.000 Fahrzeugbewegungen pro Tag zu rechnen sei. Ein Lärmgutachten holte die Stadt – trotz geäußerter Bedenken von verschiedenen Seiten – jedoch nicht ein. Aufgrund von „Erfahrungswerten“ ging sie davon aus, dass es zu keiner relevanten Lärmzunahme kommen werde. Selbst wenn, könnten etwaige Lärmkonflikte jedenfalls im nachgelagerten Baugenehmigungsverfahren gelöst werden.

Dagegen wandte sich der Eigentümer einer Betriebsleiterwohnung im angrenzenden Gewerbegebiet. Seine Anwälte stellten einen Eilantrag gegen den in Kraft getretenen Bebauungsplan.

Klare Ansage vom VGH

Der VGH gab dem Antrag statt und setzte den Bebauungsplan vorläufig außer Vollzug. Er wies in bewährter Manier darauf hin, dass die durch eine Planung hervorgerufenen Konflikte in die Abwägung eingestellt und durch die Planung selbst bewältigt werden müssten. Ein Konflikttransfer ins Baugenehmigungsverfahren setze zumindest eine Untersuchung voraus, dass die Konflikte im Baugenehmigungsverfahren zuverlässig gelöst werden könnten. Bei einer planbedingten Verkehrszunahme oberhalb der Bagatellgrenze sei dafür zumindest eine gutachterliche Grobabschätzung erforderlich. Diese Bagatellgrenze hatte der VGH bereits in früheren Entscheidungen bei einer Verkehrszunahme von 200 Verkehrsbewegungen pro Tag angesetzt (vgl. Urteil vom 17.08.2017 - 4C 2760/16.N). Auf diese Entscheidung und ihre Auswirkungen für die Praxis hatten wir bereits 2018 in einem unserer SZK-Kommunalvorträge hingewiesen.

Konflikt nicht lösbar im Baugenehmigungsverfahren

Angesichts der deutlich über der Bagatellgrenze liegenden Verkehrszunahme sah der VGH bereits in der Tatsache, dass überhaupt kein Lärmgutachten zu deren Auswirkungen eingeholt wurde (nicht einmal eine Grobeinschätzung), ein gravierendes Ermittlungsdefizit. Dieses Ermittlungsdefizit sei offensichtlich gewesen und habe sich auf das Ergebnis der Planung ausgewirkt. Aufgrund dieser Feststellungen kam der VGH schließlich zum Ergebnis, dass ein beachtlicher Abwägungsfehler vorliegt (§ 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB), der die Unwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge hat. Der VGH wies darüber hinaus darauf hin, dass die Lösung eines solchen Lärmkonflikts im Baugenehmigungsverfahren nicht ernsthaft vorstellbar ist.

Auch Betriebsleiterwohnungen im Gewerbegebiet genießen Schutz

Dass der Antragsteller im Normenkontrolle-Eilverfahren „nur“ eine Betriebsleiterwohnung im Gewerbegebiet besaß, half der Stadt nicht über das Problem hinweg. Auch solche Betriebsleiter-Wohnungen, die gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 Baunutzungsverordnung (BauNVO) nur ausnahmsweise in einem Gewerbegebiet zulässig sind, können einen Schutz vor unzumutbarer Lärmeinwirkung beanspruchen. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie rechtmäßig errichtet wurden. Wegen der maßgeblichen Gebietsfestsetzung am Einwirkungsort finden dabei freilich die Richtwerte für ein Gewerbegebiet, nicht etwa die strengeren Richtwerte für ein allgemeines Wohngebiet Anwendung.

Praxistipp: Die Fernwirkungen eines Vorhabens immer im Blick haben

Egal ob klassischer Angebotsplan, projektbezogener Angebotsplan oder vorhabenbezogener Bebauungsplan - stets muss sich die Gemeinde Gedanken über die Auswirkungen der zugelassenen Vorhaben auch außerhalb des Plangebietes Gedanken machen. Diese sogenannten Fernwirkungen sollte sie stets durch ein qualifiziertes Sachverständigenbüro untersuchen lassen. Gerade bei planbedingten Mehrverkehr reicht es hierfür nicht aus, eine Verkehrsuntersuchung anzustellen, sondern, darauf aufbauend, muss auch eine schalltechnische Untersuchung eingeholt werden. Das kann man sich nur dann sparen, wenn die Bagatellgrenze unterschritten wird. Der Hessische VGH hat dafür mit 200 Fahrzeugbewegungen pro Tag ein einfaches Beurteilungskriterium geliefert.

Eilrechtsschutz gegen Bebauungspläne auf dem Vormarsch?

Und noch etwas fällt auf: In der Zusammenschau mit einer Reihe weiterer Entscheidungen des VGH aus dem vergangenen Jahr zeigt sich, dass die Hürde für den einstweiligen Rechtsschutz im Normenkontrollverfahren offenbar deutlich abgesenkt wurde. Während früher Entscheidungen des VGH, durch die ein Bebauungsplans im einstweiligen Rechtsschutzverfahren außer Vollzug gesetzt wurde, noch eine Seltenheit waren, scheinen sie zunehmend zur Regel zu werden. Dafür mögen die immer längeren Verfahrenslaufzeiten im Hauptsacheverfahren mitverantwortlich sein. Verfahrenslaufzeiten von 3-5 Jahren im Hauptsacheverfahren sind vor den Verwaltungsgerichten mittlerweile die Regel. Sie hatten oft zur Folge, dass bei Stattgabe des Normenkontrollantrags längst irreversible Fakten geschaffen waren. Doch die Lösung kann nicht sein, den Rechtschutz immer weiter auf die Eilverfahren zu verlagern. Eine nachhaltige Abhilfe kann nur erreicht werden durch die Einstellung von mehr Richterinnen und Richtern.