Prognoserisiko bei der Kündigung wegen drohendem Verzug abgesenkt

15.05.2023

Aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe geht hervor (Urteil vom 13.12.2021 – 4 U 112/18), dass Auftraggeber für eine Kündigung wegen drohendem Verzug zukünftig nur noch eine Prognose treffen müssen, ob der Auftrag vom Auftragnehmer noch fristgerecht ausgeführt wird. Damit hat das OLG das Risiko des Auftragnehmers für eine Kündigung vor Verzugseintritt deutlich abgesenkt.

Zögerliche Leistungserbringung

Der Auftraggeber hatte seinen Auftragnehmer mit der Deichsanierung und Flussbetterweiterung eines Flusses sowie mit der entsprechenden Errichtung eines Hochwasserschutzdeichs beauftragt. Im Bauzeitenplan wurden Zwischen- und Ausführungsfristen festgehalten. Da der Auftragnehmer seine Leistung jedoch nur schwerfällig und zögerlich erbrachte, forderte ihn der Auftraggeber unter Fristsetzung auf, die rechtzeitige Erfüllung des Bauvertrages nachzuweisen. Einen solchen Nachweis lieferte der Auftragnehmer jedoch nicht, sodass der Auftraggeber den Bauvertrag wegen drohendem Verzug kündigte. In seiner Klage verlangte der Auftraggeber den Ersatz jener Mehrkosten, die ihm durch die Ersatzvornahme entstanden waren.

Bewertung der erkennbaren objektiven Umstände

Das OLG Karlsruhe spricht dem Auftraggeber den Schadensersatzanspruch wie die Vorinstanz zu. Nach Ansicht des Gerichts konnte der Auftraggeber verlangen, dass ihm der Auftragnehmer bereits vor Verzugseintritt die fristgerechte Erfüllbarkeit des Bauvertrages nachweise. Das Gericht hat den Einwand des Auftragnehmers, dass dieser den Fertigstellungstermin voraussichtlich noch habe einhalten können, unberücksichtigt gelassen. Denn der Auftraggeber habe bei der Kündigung wegen drohenden Verzugs nur eine Prognose anzustellen, ob es dem Auftragnehmer noch gelingen wird, seine Leistung fristgerecht zu erfüllen.

Dabei müsse der Auftraggeber nur die erkennbaren objektiven Umstände berücksichtigen und nicht auf Versprechungen des in Verzug geratenen Auftragnehmers vertrauen. Der Auftraggeber könne dabei die in der Vergangenheit liegenden Verhaltensweisen des Auftragnehmers heranziehen. So könne der Auftraggeber die zögerliche Leistungserbringung des Vertragspartners wie auch Baustellenbesetzung und Materialbeschaffung auf die Zukunft übertragen. Diese stellten Anhaltspunkte dar, ob der Auftragnehmer den Auftrag bei Fortführung seiner Bemühungen in bisheriger Intensität fristgerecht erfüllen würde.

Ebenso führte das Gericht aus, dass auch überschrittene Zwischenfristen als eine tatsächliche Vermutung darauf hindeuten, dass künftig ebenfalls eine Überschreitung der Fertigstellungsfrist zu erwarten sei. Hinterher vom Auftragnehmer dargestellte Material- und Personalaufstockungsmöglichkeiten wären vom Auftraggeber im Schadenersatzprozess nach § 8 Abs. 3 VOB/B nicht zu widerlegen.

Reduzierte Anforderungen

Nach dieser Entscheidung ist das Prognoserisiko des Auftraggebers bei der Kündigung wegen drohenden Verzugs reduziert. Für den Auftraggeber kommt es nur auf die im Voraus erkennbaren objektiven Umstände an (“ex ante”). Er muss also nur jene Umstände für seine Prognose heranziehen, von denen er Kenntnis hat oder die für ihn tatsächlich erkennbar sind. Unberücksichtigt können daher Aktivitäten des Auftragnehmers bleiben, die dieser nur im Hintergrund und nicht transparent vornimmt, um den Auftrag (vielleicht) noch fristgerecht zu erfüllen.

In seiner Entscheidung bestätigt das OLG Karlsruhe nochmals die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Auftraggeber unter angemessener Fristsetzung und Kündigungsandrohung vom Auftragnehmer verlangen kann, bereits vor Verzugseintritt die fristgerechte Erfüllbarkeit des Bauvertrages nachzuweisen. Allerdings ist die Entscheidung insofern kontrovers, dass der Auftraggeber keine zwingenden Gründe vorbringen musste, um die von seinem Auftragnehmer vorgetragene Möglichkeit einer Material- und Personalaufstockung zu entkräften, der Verzugseintritt also sicher war. Andere Oberlandesgerichte sehen gerade dies als zwingende Voraussetzung für eine Kündigung vor Verzugseintritt.