Dauerbrenner: Heranrückende Wohnbebauung

14.04.2022

Städte und Gemeinden sehen sich oft mit der Überplanung von Gebieten konfrontiert, in denen störanfällige Nutzungen (z.B. Wohnbebauung) mit störenden Nutzungen (z.B. Gewerbe-/Industrieanlagen) zusammentreffen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Saarlands gibt in einer aktuellen Entscheidung nun hilfreiche Hinweise, wie eine rechtssichere Gestaltung von Bebauungsplänen in derartigen Gemengelagen gelingen kann.

Der Antragsteller wendete sich im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens gegen die Änderung eines Teilbereichs eines Bebauungsplans einer saarländischen Stadt. Mit der Änderung wurde der Bereich zwischen einem bestehenden Wohngebiet und dem angrenzenden Mischgebiet neu überplant. Der Antragsteller ist Eigentümer mehrerer Grundstücke in dem angrenzenden Mischgebiet. Er betreibt dort einen Zeltverleih, einen Handel mit Unfall-LKW sowie einen Verleih von Schiffscontainern und Baumaschinen.

Der angegriffene Änderungsbebauungsplan sieht für den Bereich zwischen bestehender Wohnbebauung und dem Mischgebiet eine intensivierte Wohnnutzung vor. Im Zuge der Neuplanung wurde auf eine in den vorherigen Planungen noch festgesetzte Sicht- und Lärmschutzwand verzichtet (die Lärmschutzwand wurde tatsächlich nie errichtet). Der Antragsteller rügte, dass die Wohnbebauung somit unmittelbar - lediglich durch eine Verkehrsfläche getrennt - an seinen Betrieb heranrücke. Die damit verbundenen Auswirkungen, insbesondere die Lärmbetroffenheit für die Wohnnutzung und damit verbundene oder möglichen Einschränkungen für seinen Betrieb, seien nicht bzw. völlig unzureichend ermittelt und bewertet worden und folglich auch nicht mit dem entsprechenden Gewicht in die Abwägung eingestellt worden. Insbesondere habe die planende Stadt im Zuge der Überplanung lediglich diejenigen störenden Betriebe berücksichtigt, die laut geltendem Bebauungsplan zulässig seien, nicht jedoch bestandsgeschützte störende Betriebe, so wie der des Antragstellers, die größeren Lärm verursachen.

Umfassende Abwägung

Wesentliche Streitfrage war, ob die Stadt das Abwägungsgebot in § 1 Abs. 7 BauGB ausreichend gewürdigt hatte. Diese Vorschrift enthält das Gebot, die von der Planung betroffenen öffentlichen und privaten Belange zu ermitteln und gegeneinander sowie untereinander gerecht abzuwägen.

Grundsätzlich ist bei der Planung des Heranrückens einer neuen Nutzung an die bereits bestehende Bebauung das sog. „Veranlasserprinzip“ zu berücksichtigen. D.h. die heranrückende Nutzung muss grundsätzlich Rücksicht auf die vorhandene Bebauung nehmen. In anderen Worten muss die Bebauung, die erstmals einen Konflikt schafft, die Folgen tragen und ggf. entsprechende (planerische) Vorkehrungen treffen. Vor diesem Hintergrund monierte der Antragsteller etwa den Wegfall der ursprünglich geplanten Lärmschutzwand.

Entscheidung des OVG

Das OVG des Saarlands (Urteil vom 27. Januar 2022 – 2 C 289/20) erläuterte zunächst den eingeschränkten Prüfungsmaßstab bei der Überprüfung der kommunalen Abwägung gem. § 1 Abs. 7 BauGB. So komme es nicht in Frage, die Abwägung nur deshalb zu beanstanden, weil das Gericht andere Lösungen für besser oder sachdienlicher halte. Die gerichtliche Kontrolle beschränke sich vielmehr darauf, ob bei der Abwägung selbst oder bei dem auf ihr beruhenden Ergebnis die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit eingehalten wurden.

Das Abwägungsgebot erfordert gem. § 1 Abs. 7 BauGB, dass eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass in sie alle relevanten Belange eingestellt werden, dass die Bedeutung der betroffenen Belange nicht verkannt und der Ausgleich zwischen ihnen nicht in unverhältnismäßiger Weise vorgenommen wird.

Nach diesen Maßstäben konnte das OVG vorliegend keinen Abwägungsfehler erkennen. Aus dem Abwägungsspiegel habe sich zunächst ergeben, dass die Situation des Antragstellers in ausreichendem Maße berücksichtigt worden sei. Die Einwände des Antragstellers wurden vom Gericht entweder entkräftet oder als nicht so gravierend bewertet, dass die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit bei der Abwägungsentscheidung überschritten worden wären.

Nicht durchgreifend war zum Beispiel der Einwand des Antragstellers, die Gemeinde habe bei der zu erwartenden Immissionsbelastung des heranrückenden Wohngebiets nicht allein auf die mischgebietstypischen Gewerbebetriebe abstellen dürfen, sondern hätte insbesondere seinen bestandsgeschützten, stärker emittierenden Gewerbebetrieb berücksichtigen müssen. Das OVG entschied, dass die Gemeinde diesen Belang zurecht nicht in die Abwägung eingestellt habe. Das Gericht schloss sich der Stadt an, wonach dem Gewerbebetrieb des Antragstellers nicht der behauptete Bestandsschutz zukomme. Insbesondere sei der lärmintensive Nachtbetrieb – der Konflikte mit der heranrückenden Wohnbebauung auslösen könne – nie genehmigt worden und auch nie genehmigungsfähig gewesen. Ein Bestandsschutz scheide somit aus. Auch im Übrigen sei die Ermittlung und Abwägung der Lärmimmissionen auf das heranrückende Baugebiet nicht fehlerhaft gewesen. Das fachlich nicht zu beanstandende Lärmgutachten habe ergeben, dass die in dem angrenzenden Mischgebiet typischerweise zulässigen Gewerbebetriebe die gemäß TA-Lärm geltenden Immissionsrichtwerte einhalten würden. Daneben sei in der Begründung zum Bebauungsplan ausgeführt worden, warum die ursprünglich vorgesehene, aber nie realisierte Lärmschutzwand aus heutiger Sicht nicht mehr erforderlich sei. Das Gericht sah jeweils die planerische Gestaltungsfreiheit bei der Abwägungsentscheidung nicht als überschritten an.

Fazit

Die heranrückende (Wohn-)Bebauung bleibt ein wichtiges Thema der kommunalen Bauleitplanung. Soweit bei der Planung Grundsätze wie das Veranlasserprinzip (s.o.) oder das Trennungsgebot (räumliche Trennung von unverträglichen Nutzungen, § 50 BImSchG) beherzigt werden, können verbleibende Konflikte in der Regel bewältigt werden. Dies erfordert jedoch zumeist, dass Maßnahmen und Festsetzungen einzelfallbezogen erfolgen sowie die betroffenen Belange sauber abgewogen werden. Daneben bleibt in begrenztem Umfang die Möglichkeit, die Konfliktbewältigung auf das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren zu verlagern.