Prüfung von Umweltbelangen auf Ebene der Baugenehmigung

15.05.2021

Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel stellt klar, welche Einwände anerkannte Umweltschutzvereinigungen gegen eine Baugenehmigung vorbringen können, wenn im Rahmen der Bauleitplanung bereits eine Umweltprüfung stattgefunden hat.

In dem vom VGH entschiedenen Fall (Beschluss vom 17.03.2021 - 3 B 2000/20) war der Antragsteller der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND), ein nach § 3 Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) anerkannter Verein. Dieser wandte sich mit einem Eilantrag gegen eine von einer hessischen Stadt erteilte Baugenehmigung für „Oberbodenabtrag und Abtransport sowie Erdbauarbeiten zur Geländeregulierung inklusive Planungsstabilisierungsmaßnahmen“. Hierbei handelt es sich um vorbereitende Baumaßnahmen für ein später zu errichtendes Lebensmitteldistributions- und Logistikzentrum mit einer Lagerfläche von ca. 100.000 m² auf einer Grundstücksfläche von ca. 255.000 m². Der BUND sah durch die Erdbauarbeiten Vorkommen des geschützten Feldhamsters sowie ein nur 350m entferntes Vogelschutzgebiet - jedenfalls während der Brutzeit der Vögel - als gefährdet an.

Grundlage für die Baugenehmigung ist ein Bebauungsplan. Gegen diesen betreibt der BUND außerdem ein Normenkontrollverfahren und ein Normenkontrolleilverfahren. Im Aufstellungsverfahren des Bebauungsplans wurde der gemäß § 2 Abs. 4 BauGB erforderliche Umweltbericht erstellt.

Die erste Eilinstanz (das VG Gießen) gab dem Eilantrag des BUND statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen an, die Entscheidung des VGH Kassel in dem Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan sei für den Ausgang des Verfahrens entscheidungserheblich und vorgreiflich, da der Baugenehmigung möglicherweise die Grundlage entzogen werde, wenn der VGH den Bebauungsplan für unwirksam erkläre. Deshalb sei zunächst die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des BUND gegen die Baugenehmigung wiederherzustellen und abzuwarten, wie der Normenkontrollantrag ausgehe.

Entscheidung des VGH Kassel

Für den VGH Kassel war dagegen die (eigene) noch ausstehende Entscheidung in dem parallelen Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan nicht generell vorrangig. Er stellte vielmehr klar, dass anerkannte Naturschutzvereine Umweltbelange auch direkt gegen eine Baugenehmigung vorbringen können.

Zunächst erläutert der VGH Kassel unter Berufung auf § 50 Abs. 1 UVPG, dass für die Erteilung der Baugenehmigung keine erneute Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nach UVPG erforderlich sei, da diese bei Aufstellung des Bebauungsplans in Form der Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB durchgeführt wurde. Der Umstand, dass § 50 Abs. 1 UVPG die UVP (als Umweltprüfung) in das Bauleitplanverfahren verweise, führe jedoch nicht dazu, dass anerkannten Umweltorganisationen umweltrechtliche Einwände auf Baugenehmigungsebene vollkommen verwehrt seien.
Bei Baugenehmigungen handele es sich um Zulassungsentscheidungen gemäß. § 1 Abs. 1 Nr. 5 UmwRG, die von anerkannten Umweltvereinigungen gerichtlich angegriffen werden könnten. Stets möglich bleibe etwa der Einwand, die Baugenehmigung widerspreche den umweltbezogenen Festsetzungen eines (wirksamen) Bebauungsplans. Schließlich könne es vorkommen, dass die Behörde nicht alle diesbezüglichen Vorgaben in der Baugenehmigung umsetze. Ebenfalls sei möglicherweise zu prüfen, ob ein zusätzlicher Regelungsbedarf in der Baugenehmigung entstanden sei – sei es infolge einer (teilweisen) Konfliktverlagerung auf das nachfolgende Verwaltungsverfahren oder aufgrund nachträglicher tatsächlicher oder rechtlicher Veränderungen. In einem solchen Fall helfe es dem anerkannten Naturschutzverein auch nicht, im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens den Bebauungsplan anzugreifen, da lediglich dessen Umsetzung bemängelt werde. Auch könne anderenfalls das angegriffene Vorhaben nicht immer effektiv angegriffen werden, da die Unwirksamkeit eines Bebauungsplans sich nicht auf eine bestandskräftige Baugenehmigung auswirke.

Nach diesen Maßstäben entschied der VGH Kassel im vorliegenden Fall, dass zum einen die Baugenehmigung für die Erdbauarbeiten nicht im Wege der Teilbaugenehmigung nach § 77 HBO hätte ergehen dürfen. Zum anderen stellte er fest, dass Umweltvorschriften verletzt wurden, da insbesondere beachtliche Umweltschutzvorgaben des Bebauungsplans bei Erteilung der Baugenehmigung nicht berücksichtigt wurden. Konkret wurde es entgegen den Festsetzungen im Bebauungsplan unterlassen, die Erschließungsarbeiten unter einer Umwelt-Baubegleitung durchzuführen. Zudem wurden die gesetzlichen Brutzeiten geschützter Tiere und allgemeine Umweltvorschriften zur Vermeidung oder Minderung schädlicher Umweltauswirkungen nicht beachtet.
Folglich wären durch die Erschließungsmaßnahmen Tatsachen geschaffen worden, ohne dass die von dem Vorhaben ausgehenden Eingriffe in Umwelt und Natur hinreichend beachtet wurden. An dem Vollzug einer voraussichtlich rechtswidrigen Baugenehmigung bestand daher kein öffentliches Interesse.

Fazit

Der VGH Kassel folgt in seiner Entscheidung in vielerlei Hinsicht dem Bayerischen VGH (Beschluss vom 10.12.2020 – 9 CS 20.892). Anerkannte Umweltvereinigungen können demnach auch (nur) gegen eine erteilte Baugenehmigung vorgehen, sofern sie umweltrechtliche Vorschriften verletzt sehen. Folglich besteht kein grundsätzlicher Vorrang eines Normenkontrollverfahrens gegen den Bebauungsplan gegenüber der Anfechtung einer Baugenehmigung, die ein konkretes Vorhaben zulässt. Ein gegenteiliges Ergebnis würde sonst zu Rechtsschutzlücken für die anerkannten Umweltvereinigungen führen. Der Bayerische VGH hat in seinem Beschluss zudem ausgeführt, dass kein generelles Verbot einer „doppelten Prüfung“ von umweltbezogenen Belangen bestehe, die bereits Teil der Umweltprüfung des Bauleitplanverfahrens waren. Zu diesem Aspekt musste sich der VGH Kassel jedoch nicht äußern, da bereits die mangelhafte Umsetzung umweltrechtlicher Vorschriften des Bebauungsplans durch die Baugenehmigung ausreichte, um dem Antrag stattzugegeben. Eine weitergehende Prüfung, ob die Umweltprüfung im Rahmen der Bauleitplanung allen umweltrechtlichen Aspekten gerecht wurde, konnte daher unterbleiben.