Schwedisch (und Artenschutzrecht) für Anfänger und Fortgeschrittene

15.09.2021

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Artenschutzrecht für eine kleine Sensation gesorgt. Allen nationalen Gesetzgebern, die eine eher großzügige Handhabe der artenschutzrechtlichen Verbote ermöglichen wollen, erteilt der EuGH in seiner Entscheidung “Skydda Skogen” eine klare Absage.

Geklagt hatte das schwedische Aktionsbündnis „Skydda Skogen“ („Rettet den Wald“) gegen die behördliche Genehmigung für eine Waldrodung. Nach Ansicht des schwedischen Gerichts war für die Entscheidung von Bedeutung, ob das sogenannte Tötungsverbot, so wie es im schwedischem Recht formuliert ist, im Einklang mit den maßgeblichen europäischen Richtlinien steht. Die Frage wurde dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt, der prompt einen Verstoß gegen europäisches Recht feststellte (Urteil vom 21.03.2021 - Rs. C 473/19 und 174/19 „Skydda Skogen“).

Bedeutung für die deutsche Rechtsanwendung

Nun könnte man meinen, die Entscheidung beträfe nur das schwedische Recht. Das ist jedoch nicht der Fall. Auch die artenschutzrechtlichen Verbote im deutschen Recht (§ 44 Abs. 1 BNatSchG) enthalten eine Formulierung, wie sie vom EuGH beanstandet wurde. Dennoch sind die Auswirkungen der zitierten EuGH-Rechtsprechung für Deutschland umstritten.

Zum rechtlichen Hintergrund

In Deutschland wird Art. 12 Abs. 1 der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (kurz: FFH-RL) durch § 44 BNatSchG in nationales Recht umgesetzt. Nach dieser Vorschrift ist unter anderem verboten,

- besonders geschützte Tiere zu töten oder zu verletzen,

- besonders geschützte Tiere während bestimmter Zeiten erheblich zu stören,

- Fortpflanzungs- oder Ruhestätten solcher Tiere zu zerstören. 

Durch diese Verbote werden die einzelnen Individuen einer Art geschützt, nicht lediglich die lokale Population in ihrem Gesamtbestand. Das Verbot wird also schon dann verletzt, wenn nur ein einziges Tier getötet. wird. Der Verbotstatbestand ist aber nur dann erfüllt, wenn man mit Vorsatz („Absicht“) handelt. Nach der europäischen Rechtsprechung liegt eine solche Absicht allerdings auch dann vor, wenn sich die Verletzung, Tötung, etc. als ungewollte, aber absehbare Folge einer genehmigten Maßnahme, zum Beispiel eines Bauvorhabens, darstellt. Um einen uferlosen Anwendungsbereich zu vermeiden, enthält das deutsche Recht daher ebenso wie das schwedische Relativierungen für den Fall von genehmigten Maßnahmen, die nicht unmittelbar auf die Tötung, Verletzung oder Störung der besonders geschützten Tiere abzielen.

Was genau hat der EuGH beanstandet?

Im schwedischem Recht war geregelt, dass eine absichtliche Tötung oder Verletzung von besonders geschützten Tieren als ungewollte Folge von Baumaßnahmen und ähnlichen Maßnahmen nur dann vorliegt, wenn sich dadurch der Erhaltungszustand der lokalen Population verschlechtert. Genau diese Relativierung hat der EuGH beanstandet. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL schütze jedes einzelne Individuum und nicht lediglich die (lokale) Population einer geschützten Tierart. Das entsprechende Tötungs-/Verletzungs-Verbot im deutschen Recht (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) enthält eine solche populationsbezogene Relativierung wie im schwedischen Recht nicht. Anders sieht es aber beim Störungsverbot gem. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG aus. Nach deutschem Recht greift das Störungsverbot nur dann, wenn die Störung als erheblich anzusehen ist (und zu bestimmten Zeiten erfolgt). Das leuchtet unmittelbar ein, schließlich kann nicht jegliche noch so geringfügige Störung stets zur Folge haben, dass das artenschutzrechtliche Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG eingreift. Dadurch stellt sich natürlich direkt die nächste Frage, nämlich wann eine Störung denn als erheblich anzusehen ist. Das ist in § 44 Abs. 1 Nr. 2 HS. 2 BNatSchG definiert: „Eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert“.

Gleicher Ansatz für „Störungsverbot“ wie für “Tötungsverbot?

Genau in diesem Punkt besteht die Parallele zu dem EuGH-Urteil vom 21.03.2021. In Schweden wurde derselbe populationsbezogene Ansatz in Bezug auf das Tötungsverbot angewandt, was unzulässig war. Die Frage ist nun, ob diese Rechtsprechung auf die deutsche Regelung des Störungsverbots übertragbar ist. Konkret geht es also darum, ob die deutsche populationsbezogene Definition, wann eine Störung erheblich ist, im Einklang mit Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL steht.

Diese Diskussion ist alles andere als neu und wurde schon lange vor dem zitierten EuGH-Urteil geführt. Die überwiegende Auffassung einschließlich des Bundeverwaltungsgerichts hielt die deutsche Regelung bislang für konform mit dem EU-Recht. Die Gegenauffassung meint, die deutsche Relativierung des Störungsverbots finde in Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL keinen Rückhalt.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese letztgenannte Auffassung durch die EuGH-Entscheidung deutlichen Auftrieb erhält. Dennoch spricht viel dafür, dass die Entscheidung des EuGH, die sich ausschließlich auf das (schwedische) Tötungsverbot bezog, nicht zwangsläufig auf das (deutsche) Störungsverbot übertragbar ist. Gründe für diese Einschätzung finden sich in der unterschiedlichen Formulierung zwischen dem Tötungsverbot und dem Störungsverbot in Art. 12 der FFH-Richtlinie. Ferner sprechen beim Störungsverbot – anders als beim Tötungsverbot – pragmatische Gründe für eine solche Relativierung: Der Anwendungsbereich des Störungsverbots wäre geradezu uferlos ohne das Kriterium der „Erheblichkeit“. Es kann außerdem auch nicht übersehen werden, dass die Europäische Kommission seit 2008 einen Leitfaden zur Handhabung des Art. 12 FFH-RL herausgibt, in dem sie selbst die populationsbezogene Relativierung des Störungstatbestandes (nur des Störungstatbestandes!) zur Einschränkung der Reichweite empfiehlt. Aber natürlich hat der EuGH und nicht die EU-Kommission das letzte Wort.

Fazit

Überträgt man entgegen der hier vertretenen Ansicht mit der bisherigen Mindermeinung die EuGH-Entscheidung auch auf das Störungsverbot, dann ist die Relativierung des Störungsverbots durch den deutschen Gesetzgeber (das Kriterium der Erheblichkeit mit einem populationsbezogenen Ansatz) unionsrechtswidrig und der 2. Halbsatz im § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG folglich nicht anzuwenden. Bei Projekten, die nach diesem strengen Verständnis das Störungsverbot erfüllen, sollten daher schon auf Planungsebene die Voraussetzungen einer Ausnahmegenehmigung gem. § 45 Abs. 7 BNatSchG geprüft werden.