Stellplatzsatzung: Gemeinde kann Genehmigung anfechten

15.09.2021

Eine Standortgemeinde kann sich auch unter Geltung der HBO 2018 auf ihr Selbstverwaltungsrecht berufen und die Erteilung einer Baugenehmigung im Einzelfall anfechten. Im vorliegenden Fall hatte die Baugenehmigungsbehörde (Landkreis) mittels Abweichungsgenehmigung erlaubt, dass Stellplätze errichtet wurden, deren Herstellungsmerkmale nicht der gemeindlichen Stellplatzsatzung entsprachen.

Sachverhalt

Ein hessischer Landkreis erteilte einem Bauherrn auf dessen Antrag einen Abweichungsbescheid, der ihm gestattete, die für sein Bauvorhaben erforderlichen Stellplätze abweichend von den Mindest- bzw. Höchstmaßen der gemeindlichen Stellplatzsatzung herzustellen – in diesem Fall in höherer Breite und geringerer Länge.

Die betroffene Gemeinde erhob gegen den Abweichungsbescheid Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) Darmstadt. Der Bauherr stellte daraufhin die Klagebefugnis der Standortgemeinde in Frage. Denn diese sei nicht in eigenen Rechten verletzt, da es sich bei den örtlichen Bauvorschriften nicht um Selbstverwaltungs-, sondern übertragene Auftragsangelegenheiten handele. Das VG Darmstadt hat sich der Auffassung des Bauherrn in erster Instanz jedoch nicht angeschlossen. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel hat diese Entscheidung nun bestätigt (Beschluss vom 15.03.2021 - 4 A 629/20.Z).

Entscheidung des VGH

Der VGH Kassel stellt zunächst abstrakt die rechtlichen Grundlagen dar. Gemäß § 52 Abs. 1, § 91 Abs. 1 Nr. 4 Hessische Bauordnung (HBO 2018) haben die Gemeinden selbst das Recht, unter Berücksichtigung der örtlichen Verkehrsverhältnisse festzulegen, ob und in welchem Umfang Stellplätze oder Garagen und Abstellplätze errichtet werden müssen, um den Erfordernissen des ruhenden Verkehrs zu genügen. Sie können durch Satzung u.a. bestimmen, dass bauliche und sonstige Anlagen, bei denen ein Zu- oder Abgangsverkehr zu erwarten ist, nur errichtet oder geändert werden dürfen, wenn Stellplätze oder Garagen und Abstellplätze in ausreichender Zahl und Größe sowie an einem geeigneten Standort hergestellt werden.

Die Satzungsbefugnis der Gemeinden umfasst auch die Möglichkeit, auf die Herstellung von notwendigen Stellplätzen oder Garagen unter bestimmten Umständen ganz oder teilweise zu verzichten (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 HBO 2018) oder die Herstellung von Stellplätzen oder Garagen zu untersagen oder einzuschränken. Voraussetzung ist, dass verkehrstechnische oder städtebauliche Gründe dies erfordern (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 HBO 2018). Sie legt außerdem fest, in welchen Fällen die Herstellungspflicht entfallen kann, wenn die Stellplätze oder Garagen nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten errichtet werden können (Stellplatzablöse). Vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Grundlagen ordnet der VGH Kassel die Satzungsbefugnis für Stellplätze und Garagen dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden gemäß Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) zu. Der VGH Kassel bestätigt dies insbesondere für die novellierte HBO 2018. Das Gericht folgt damit nicht der Ansicht des Bauherrn, wonach die örtlichen Bauvorschriften nicht dem eigenen Wirkungskreis der Gemeinde zuzurechnen seien. Für diese Ansicht führte der Bauherr ins Feld, dass - anders als in Bayern - in Hessen keine zusätzliche Einvernehmensregelung für Abweichungen geschaffen worden sei. Außerdem spreche gegen eine Selbstverwaltungsangelegenheit schon der Umstand, dass die Entscheidungskompetenz über die Gewährung von Abweichungen bei den Bauaufsichtsbehörden liege und nicht bei den Kommunen.

Dieser Auffassung tritt der VGH Kassel in seiner Entscheidung entgegen. Bei der Entscheidung über die Zuständigkeiten für das Baugenehmigungsverfahren handele es sich um eine rein verfahrensrechtliche Regelung. Daraus könne nicht gefolgert werden, der Gesetzgeber habe abweichend von der bisherigen Rechtslage die örtlichen Bauvorschriften nicht mehr dem eigenen Wirkungskreis der Gemeinde zurechnen wollen. Es sei lediglich die Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens beabsichtigt gewesen. Gleiches gelte in Bezug auf den Verzicht auf eine besondere Einvernehmensregelung für Abweichungen im Baugenehmigungsverfahren. Auch dieses Vorgehen treffe keine Aussage darüber, ob örtliche Bauvorschriften als übertragene oder Selbstverwaltungsaufgaben anzusehen seien.

Fazit

Die Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung für die HBO 2018 könnte Anlass dazu geben, dass Gemeinden eine (ggf. erste) eigene Stellplatzsatzung erlassen. Eine bestehende Stellplatzsatzung sollte dahingehend überprüft werden, ob die mit ihr verfolgten städtebaulichen Ziele noch erreicht werden. Unter Umständen sollten Mindestanforderungen bzw. Höchstvorgaben überarbeitet werden. Ebenso sollte sich jede Gemeinde bewusst sein, dass sie ihre örtlichen Bauvorschriften auch auf dem Rechtsweg gegenüber dem Landkreis und Bauherrn durchsetzen kann, denn die beschriebene Problematik gilt für alle örtlichen Bauvorschriften, nicht nur für Stellplatzsatzungen.