Anwendungsbereich des Umweltrechtsbehelfsgesetzes

13.10.2023

Zielabweichungsbescheid kann von Umweltvereinigung angegriffen werden

Der Einzelne kann sich in der Regel nicht zum Anwalt der Umwelt aufschwingen. Eine sogenannte Popularklage ist dem deutschen Verwaltungsprozessrecht fremd. Um erfolgreich gegen ein Bauprojekt vorgehen zu können, muss der Kläger stattdessen unmittelbar in subjektiven Rechten verletzt sein. Etwas anderes gilt jedoch für anerkannte Umweltvereinigungen. In dem Kontext hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am 28.09.2023 eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen.

Anders als Privatpersonen können Umweltvereinigungen gegen bestimmte behördliche Entscheidungen wegen der Verletzung umweltbezogener Vorschriften gerichtlich vorgehen, ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein. Das ergibt sich aus §§ 1, 2 Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG). Allerdings ist dabei nicht immer ganz klar, welche Entscheidungen Gegenstand einer solchen Klage sein können und welche Vorschriften „umweltbezogen“ in diesem Sinne sind.

Zankapfel „Rewe Wölfersheim“

Gegenstand der Auseinandersetzung ist – nicht zum ersten Mal – das Logistikzentrum für Rewe in Wölfersheim (Hessen). Der Regionalplan legt auf der betreffenden Fläche eine Vorrangfläche für Landwirtschaft sowie Grünfläche/Sportanlagen fest. Das Vorhaben kollidiert mit diesen Zielen. Der Planungsverband ließ auf Antrag die Zielabweichung im Umfang von 30 ha zu. Der BUND Hessen e. V. klagte gegen den Zielabweichungsbescheid, zunächst allerdings erfolglos: Das Verwaltungsgericht Gießen und der Hessische Verwaltungsgerichtshof urteilten, der Zielabweichungsbescheid sei keine Entscheidung, die nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz angegriffen werden könne. § 1 UmwRG enthalte einen abschließenden Katalog von Entscheidungen, die Gegenstand einer Klage nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz sein können. Der Zielabweichungsbescheid falle nicht darunter, eine analoge Anwendung sei nicht angezeigt.

Weite Auslegung der Klagemöglichkeiten durch das BVerwG

Das BVerwG sah das anders. Die Entscheidung über die Zielabweichung ist ein statthafter Klagegegenstand nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 2 UmwRG, wenn anstelle der Zielabweichungsentscheidung eine Änderung des Regionalplans hätte erfolgen müssen. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Zielabweichungsentscheidung Grundzüge der Planung berührt, weil erhebliche Umweltauswirkungen auf Raumordnungsebene nicht ausgeschlossen werden können.

Was folgt daraus?

Nicht selten stehen größere Bauprojekte im Widerspruch zu den Zielen der Regionalplanung. Ein Antrag auf Zielabweichung (§ 8 Hess. Landesplanungsgesetz) ist in solchen Fällen nichts Ungebührliches. Man sollte sich dabei allerdings nicht auf das Prinzip „Wo kein Kläger, da kein Richter“ verlassen. Denn jedenfalls dann, wenn die Zielabweichungsentscheidung anstelle der eigentlich gebotenen Änderung des Regionalplans erfolgt, gibt es jetzt potenzielle Kläger: die Umweltvereinigungen.