Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jüngst entschieden, dass auch die fiktive Abnahme der Bauleistungen unwirksam ist, wenn die VOB/B nicht als Ganzes vertraglich vereinbart werde (Beschluss vom 21.06.2023 – VII ZR 128/22). Mit dieser Entscheidung führt er sein Urteil vom 19.01.2023 (VII ZR 34/20) fort (siehe unseren Beitrag vom Mai 2023).
Nach der Inbenutzungnahme der Leistung wird die Abnahme fingiert
Gegenstand des Verfahrens sind die häufig divergierenden Interessen der Parteien im Hinblick auf die Leistungsabnahme. Während sich der Auftraggeber der Abnahme verwehrt, solange aus seiner Sicht noch nicht alle geschuldeten Leistungen erbracht bzw. mangelfrei erbracht worden sind, bemüht sich der Auftragnehmer um eine zügige Abnahme, um die Fälligkeit der Vergütung herbeizuführen. In dieser Situation kann die VOB/B dem Auftragnehmer die ersehnte Hilfe bieten. Denn diese besagt, dass die Abnahme auch ohne ausdrückliches Verlangen des Auftraggebers nach Ablauf von sechs Werktagen als erfolgt gilt, wenn der Auftraggeber die Leistungen bereits in Benutzung nimmt. Die darin liegende fiktive Abnahme gemäß § 12 Abs. 5 Nr. 2 S. 1 VOB/B führt folglich die für den Auftragnehmer ersehnte Abnahme herbei, selbst wenn der Auftraggeber diese verweigert.
Ausschluss gilt nur für den Verwender der VOB/B
Der Gerichtshof entschied im vorliegenden Fall jedoch, dass sich der Auftragnehmer auf dieses für ihn günstige Recht nicht berufen könne, wenn die VOB/B im Vertrag nicht als Ganzes vereinbart worden ist. Damit nimmt der Gerichtshof Bezug auf die Grundsätze aus seinem Urteil vom 19.01.2023, in dem er klarstellte, dass bereits geringfügige Änderungen zur VOB/B im Vertrag dazu führen, dass diese nicht mehr „als Ganzes“ vereinbart gilt. Dies führt dazu, dass die vereinbarten Normen im Rahmen der sogenannten Inhaltskontrolle überprüft werden müssen. Sofern es zu dieser Prüfung kommt, soll sich der Auftragnehmer auf die fiktive Abnahme gemäß § 12 Abs. 5 Nr. 2 S. 1 VOB/B nicht weiter berufen können. An dieser Stelle ist es allerdings wichtig zu betonen, dass der Rückgriff auf das für den Auftragnehmer günstige Recht selbstverständlich nur dann verwehrt wird, wenn der Auftragnehmer die VOB/B selbst in den Vertrag einbezogen hat, d.h. wenn er Verwender der VOB/B ist. Wäre die VOB/B vorliegend vom Auftraggeber in den Vertrag einbezogen und das Recht auf die fiktive Abnahme vertraglich ausgeschlossen worden, wie dies in vielen Fällen üblich ist, hätte die Vorschrift zu Gunsten des Auftragnehmers voraussichtlich Bestand gehabt.
Ausweg: Fiktive Abnahme nach § 640 Abs. 2 VOB/B
Bedeutung hat diese Entscheidung insbesondere auch für die Frage der Verjährung des Vergütungsanspruchs. Dieser Anspruch verjährt drei Jahre nach Eintritt der Fälligkeit, d.h. die Verjährung beginnt üblicherweise mit Ende des Jahres, in dem die Abnahme erklärt und die Schlussrechnung übergeben worden ist. Wenn die Abnahme jedoch weder ausdrücklich noch durch schlüssiges Verhalten vom Auftraggeber erklärt wird, kommt es auf das Ende des Jahres an, in dem die Abnahme fiktiv eingetreten ist.
Sollte man jedoch wie vorliegend zu dem Ergebnis kommen, dass die Abnahme weder tatsächlich erklärt wurde noch wirksam auf Grundlage der VOB/B fingiert werden kann, könnte die Abnahme aus Sicht des Auftragnehmers auch nach § 640 Abs. 2 BGB hergeleitet werden. Denn auch außerhalb der VOB/B besteht die Möglichkeit, die Abnahme zu fingieren. Darauf kann sich der Auftragnehmer selbstverständlich weiter berufen, da es sich dabei um eine gesetzliche Regelung handelt und nicht um eine allgemeine Geschäftsbedingung wie die VOB/B. Nach der gesetzlichen Vorgabe ist die Abnahme dann wirksam, wenn der Auftragnehmer dem Auftraggeber nach Fertigstellung des Werkes eine angemessene Frist zur Abnahme setzt und der Auftraggeber die Abnahme innerhalb dieser Frist nicht unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat.
Darüber hinaus könnte der Auftragnehmer auch den Ansatz verfolgen, dass die Abnahme - wenn schon nicht ausdrücklich und nicht fiktiv - zumindest durch schlüssiges Verhalten eingetreten sei. Schließlich bringt der Auftraggeber durch die Benutzung der Leistung zum Ausdruck, dass er die erbrachte Leistung im Wesentlichen als vertragsgerecht anerkennt. Zur Ermittlung dieser Annahme muss jedoch im Einzelfall das gesamte Verhalten des Auftraggebers gewürdigt werden. Da im vorliegenden Fall zwar eine Benutzung eingetreten ist, den Parteien aber bekannt war, dass noch wesentliche Maßnahmen ausstanden, wirkte dies der konkludenten Abnahme entgegen. Der Auftraggeber war folglich berechtigt, die Abnahme so lange zu verweigern, bis alle wesentlichen Restleistungen erbracht worden sind.
Aufgabe des Verwenders: Risiken kennen und bewerten
Zusammengefasst lässt sich erwartungsgemäß feststellen, dass sich die Reihe der VOB/B-Regelungen fortsetzt, die bei einer nicht vollständigen Vereinbarung der VOB/B der Inhaltskontrolle nicht Stand halten. Dem Verwender eines VOB/B-Vertrags ist daher zu empfehlen, sich mit diesen Risiken auseinanderzusetzen und nicht blindlings auf die vollständige Wirksamkeit aller Inhalte des Vertrages zu vertrauen.