Europaweite Ausschreibungspflicht für Kita-Betrieb

15.11.2021

Kommunen bedienen sich häufig externer Betreiber, um Kita-Plätze bereitzustellen. Dabei kommt es nicht selten vor, dass Städte und Gemeinden die Betreiberverträge für Kitas lediglich national ausschreiben. Die Rechtsprechung tritt dieser Praxis zunehmend entgegen. 

Der Sachverhalt 

Mit dieser Thematik befasste sich das Oberlandesgericht (OLG) Jena (Beschluss vom 9.04.2021 - Verg 2/20). Eine thüringische Gemeinde errichtete ein neues Gebäude, das als Kindergarten genutzt werden sollte. Den Betrieb der Kita sollte ein externer Betreiber für die Gemeinde nach den Anforderungen des thüringischen Kita-Gesetzes übernehmen. Hierzu war unter anderem ein pädagogisches Konzept vorzulegen. In finanzieller Hinsicht sollte der Betreiber zunächst alle Personal-, Sach- und Betriebskosten, die für die Unterhaltung und den Betrieb des Gebäudes sowie die Betreuung der Kinder erforderlich sind, selbst tragen. Daneben waren die Benutzungs- und Verpflegungsentgelte von den Eltern einzuziehen. Der abzuschließende Betreibervertrag sah vor, dass die erforderlichen Betriebskosten - soweit nicht durch Elternbeiträge und den Eigenanteil des Trägers gedeckt - von der Gemeinde entsprechend den Regelungen des thüringischen Kita-Gesetzes ausgeglichen werden sollten. 

Der Vertrag sah eine Laufzeit von einem Jahr vor. Er verlängerte sich jedoch um ein weiteres Jahr, soweit eine der Parteien sechs Monate vor Ablauf des Jahres die Verlängerung schriftlich beantragte und die andere Partei binnen zwei Monate nach Antragstellung dem Verlängerungsantrag nicht widerspräche. Die jährliche Höhe der Betriebskostenzuschüsse betrug ca. 86.000 Euro bei Gesamtbetriebskosten von 235.000 Euro und Einnahmen von 149.000 Euro 

Vergaberechtlicher Hintergrund 

EU-Richtlinien legen sogenannte Schwellenwerte fest, ab denen eine Beschaffung europaweit ausgeschrieben werden mussDie Gemeinde wollte den Betriebsvertrag im Rahmen eines rein nationalen Interessenbekundungsverfahren vergeben. Sie war der Ansicht, bei dem Betreibervertrag handele es sich um eine DienstleistungskonzessionBei einer solchen Konzession liegt der maßgebliche Schwellenwert für eine europaweite Ausschreibung bei 5.350.000 Eurowurde hier also deutlich unterschritten. Folglich könne - so die Ansicht der Gemeinde der Betreibervertrag national vergeben werden. Gegen diese Auffassung ging ein unterlegener Bieter gerichtlich vor. 

Entscheidung des OLG Jena 

Der Bieter hatte ErfolgBei dem in Frage stehenden Betreibervertrag handelt es sich nach Auffassung des Gerichts nicht um eine Dienstleistungskonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 2 GWB, sondern um einen Dienstleistungsauftrag. Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen Konzession und Auftrag ist die Frage, ob beim Auftragnehmer ein relevantes Betriebsrisiko gemäß § 105 Abs. 2 GWB verbleibt. Ein rein abstraktes oder allgemeines wirtschaftliches Risiko genügt nicht. Das Fehlen des erforderlichen Betriebsrisikos kann auf eine einfache Formel heruntergebrochen werden: Wenn nach menschlichem Ermessen rote Zahlen während der Vertragslaufzeit ausgeschlossen werden können, besteht kein Betriebsrisiko des Betreibers. 

Nach diesen Maßstäben befand das OLG Jena, dass bei der vorliegenden Vertragsstruktur ein relevantes Betriebsrisiko des Betreibers fehlt. Unter normalen Bedingungen sei der Betreiber des Kindergartens nicht dem Risiko ausgesetzt, seine Kosten nicht decken zu können. Vielmehr würden seine Kosten vom Auftraggeber vollständig ausgeglichen, sofern sie sich als erforderlich qualifizieren lassen.  

Auch die Einwände des Betreibers, wonach die Einnahmen aus Elternbeiträgen stets und unvorhersehbar schwanken würden, ließ das OLG Jena nicht gelten. Die potenziell schwankende Höhe der Einnahme aus Elternbeiträgen wirke sich auf den Betreiber wirtschaftlich nicht aus. Ebenso bestehe kein nennenswertes betriebliches Risiko in der Hinsicht, dass getätigte Aufwendungen von der Gemeinde nicht als „erforderlich“ angesehen werden. Im Hinblick auf die Bestimmung der Erforderlichkeit der auszugleichenden Kosten verfügtder Träger nicht über weitgehende EntscheidungsspielräumeDies zeigten insbesondere die gesetzlichen Regelungen über die Personalausstattung einschließlich eines Personalschlüssels im thüringischen Kita-Gesetz. Ebenso handele es sich bei der Erforderlichkeit um einen vollständig gerichtlich überprüfbaren Rechtsbegriff. Da sich zuletzt auch der vertraglich vorgesehene Eigenanteil des Betreibers auf nichtmonetäre Leistungen beschränkte, konnte auch hieraus kein relevantes Betriebsrisiko erwachsenDas verbleibende Risiko einer Misswirtschaft sei allgemeiner Natur und ebenso wie dasjenige einer Fehlkalkulation bzw. arbeitsmarktspezifischer Rahmenbedingungen stets vom Auftragnehmer zu tragen. Derartige allgemeine Risiken könnten jedoch die Annahme des Vorliegens eines Betriebsrisikos im Sinne einer Konzession nicht rechtfertigen. 

Da somit von einem Dienstleistungsauftrag und nicht von einer Dienstleistungskonzession auszugehen war, musste der niedrigere Schwellenwert in Höhe von hier 750.000 Euro für Dienstleistungen im Sozialbereich herangezogen werden (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 lit. d Richtlinie 2014/24/EU). Dieser Wert wurde bei der Grundlaufzeit von einem Jahr noch nicht überschritten. Jedoch sind bei der Schätzung des Auftragswerts gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 VgV Optionen oder Vertragsverlängerungen zu berücksichtigen. Vorliegend konnte die einjährige Laufzeit problemlos auf Verlangen einer Vertragspartei um ein Jahr verlängert werden. Das OLG Jena stufte die Anforderungen an die Vertragsverlängerung als so niedrig ein, dass es sich de facto um einen Auftrag mit unbestimmter Laufzeit gehandelt habe. Auf Grundlage der geschätzten Gesamtbetriebskosten von 235.000 Euro jährlich werde bei Zugrundelegung des 48-fachen Monatswertes nach § 3 Abs. 11 Nr. 2 VgV der Schwellenwert von 750.000 Euro ohne Weiteres überschritten. 

Betreiberverträge an Europarecht anpassen 

Städten und Gemeinden ist zu raten, ihre Praxis beim „Outsourcen“ des Kita-Betriebs zu überprüfen und gegebenenfalls für die Zukunft an die europarechtlichen Vorgaben anzupassen. Weiter macht die Entscheidung deutlich, dass die maßgeblichen Schwellenwerte, ab denen eine europaweite Ausschreibung erforderlich wird, nicht durch kurze Vertragslaufzeiten mit Verlängerungsoptionen umgangen werden können.