Das Verwaltungsgericht Darmstadt (VG) und der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) haben jüngst entschieden, dass die Betreiberleistung einer Kindertagesstätte keinen „öffentlichen Auftrag“ im Sinne des § 103 Abs. 1 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) darstellt und daher nicht ausschreibungspflichtig ist. Darüber hinaus ist die Durchführung eines Vergabeverfahrens unzulässig, da sie Grundprinzipien des Jugendhilferechts verletzt.
Der zugrundeliegende Sachverhalt
Der Entscheidung des VG in erster Instanz liegt der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz eines am Vergabeverfahren beteiligten freien Trägers zu Grunde. Die Hessische Gemeinde suchte nach einem externen Betreiber für eine Kita in einem neu errichteten gemeindeeigenen Gebäude. Die Gemeinde gab dem potenziellen Auftragnehmer/Betreiber gewisse Rahmenbedingungen vor (beispielsweise die Öffnungszeiten und die Anzahl der Kitaplätze). Die Leistungsempfänger, also die Eltern der betreuten Kinder, sollten das Entgelt direkt an den Betreiber entrichten. Nur für den Fall, dass das hierdurch erzielte Ergebnis für den Betreiber nicht auskömmlich sei, würde die Gemeinde im Rahmen eines Schuldbeitritts ein entsprechendes Entgelt an den Betreiber leisten.
Die Antragsstellerin wandte sich gegen die grundsätzliche Durchführung eines Vergabeverfahrens. Diesem Antrag gab das VG im Rahmen des Eilverfahrens statt. Eine gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde vor dem VGH wurde verworfen, da die Beschwerdeführerin eine Verletzung durch die erstinstanzliche Entscheidung des VG nicht ausreichend darlegen konnte.
Betreiberleistung ist kein „öffentlichen Auftrag“ i. S. d. § 103 Abs. 1 GWB
Das VG führt in seiner Entscheidung aus, dass es bereits an einem „öffentlichen Auftrag“ fehlt. Zur Begründung verweist das Gericht auf die Notwendigkeit einer Leistungsbeziehung zwischen der Gemeinde und dem Betreiber, die vorliegend jedoch nicht gegeben war. Denn das Leistungsverhältnis besteht vielmehr direkt zwischen dem Betreiber und den Kindern bzw. den Erziehungsberechtigten der Kinder. Nur im Bedarfsfall tritt die Gemeinde in diese Pflicht ein und leistet eine sog. „Förderung“ nach § 30 Abs. 3 HKJGB (Hessisches Kinder- und Jugendhilfegesetzbuch). Es besteht mithin kein synallagmatischer Vertrag (Verpflichtung der Vertragsparteien zur Leistung und Gegenleistung) zwischen der Gemeinde und dem freien Träger. Die Gemeinde legt vielmehr nur die Bedingungen für die Leistungsabwicklung fest, eine Beschaffung von Dienstleistungen ist hierin aber nicht zu sehen.
Das VG befasst sich in seiner Entscheidung auch mit der bisherigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Jena, welche bisher zur Beurteilung dieser Fälle herangezogen wurde und gegenteiliger Auffassung war. Das VG trifft in der vorliegenden Entscheidung jedoch die klare Aussage, dass die Thüringer Rechtsprechung nicht auf Hessen übertragbar ist.
Rechtslage in Hessen und Thüringen nicht vergleichbar
Anders als in Thüringen liegt in Hessen die Pflicht zur Betreibung einer Kindertagesstätte nicht vordergründig bei der Gemeinde. Das HKJGB beinhaltet vielmehr eine Förderungspflicht der Hessischen Gemeinde gegenüber den freien Trägern. Diese sind primär heranzuziehen. Anders in Thüringen: Hier obliegt diese Pflicht primär der Gemeinde. Lässt sich kein geeigneter freier Träger finden, so tritt die Gemeinde in die Betreiberpflicht. Daher stellt die Beauftragung in Thüringen auch die Beschaffung einer Dienstleistung dar. Es bestehen erhebliche Unterschiede der zugrundeliegenden Leistungsbeziehungen zwischen der Gemeinde und dem Betreiber.
Verstoß gegen die Grundsätze des Jugendhilferechts
Darüber hinaus verletzt die Durchführung des Vergabeverfahrens Grundsätze des Jugendhilferechts. Insbesondere geht es hierbei um den in § 30 Abs. 4 HKJGB verankerten Subsidiaritätsgrundsatz, die besonders geschützte Selbstständigkeit freier Träger, welche sich aus § 3 Abs. 4 HKJGB ergibt, sowie um das Prinzip der Angebots- und Trägervielfalt.
Denn wie bereits ausgeführt ist einem freien Träger beim Betrieb einer Kindertagesstätte stets Vorrang einzuräumen. In der zugrundeliegenden Entscheidung wurde ein Verstoß gegen diesen Grundsatz angenommen, da sich aus den Vergabeunterlagen für das Gericht keine Priorisierung von freien Trägern ergab.
Eine Verletzung der besonders geschützten Selbstständigkeit ist darüber hinaus immer dann anzunehmen, wenn dem Betreiber Rahmenbedingungen vorgegeben werden. Dies war vorliegend der Fall. Und zuletzt kommt regelmäßig auch eine Verletzung des Grundsatzes der Angebots- und Trägervielfalt in Betracht, auf welchen das Gericht in der hiesigen Entscheidung jedoch nicht näher eingegangen ist.
Öffentliche Auftraggeber sollten sich zukünftig an dieser Entscheidung orientieren. Der Beschluss erging zwar „nur“ im vorläufigen Rechtsschutz, sodass die Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich noch abzuwarten bleibt, das Gericht hat sich jedoch bereits vertieft mit der Problematik der unterschiedlichen Rechtslagen auseinandergesetzt.