Stolpersteine bei der Anwendung des beschleunigten Verfahrens

16.05.2022

Bebauungsplänen im beschleunigten Verfahren nach den §§ 13a, 13b BauGB aufzustellen, ist für Städte und Gemeinden attraktiv. Die Kosten- und zeitaufwendige Umweltprüfung kann entfallen. Eingriffe in Natur und Landschaft, die vom Bebauungsplan zugelassen werden, gelten als ausgeglichen. Das beschleunigte Verfahren darf aber nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen gewählt werden. Fehler bei der Auswahl des beschleunigten Verfahrens haben fast immer die Unwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge. Daher ist bei der Prüfung äußerste Sorgfalt angezeigt. Das zeigt einmal mehr die aktuelle Entscheidung des Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster vom 10.02.2022 (7 D 260/20.NE)

Eine Gemeinde in Nordrhein-Westfalen überplante erstmals Flächen in Ortsrandlage im beschleunigten Verfahren. Festgesetzt wurde ein allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 4 BauNVO. Gartenbaubetriebe und Tankstellen wurden unter Rückgriff auf § 1 Abs. 5 BauNVO ausgeschlossen. Eine formale Umweltprüfung unterblieb. Auf die Festsetzung von Ausgleichsmaßnahmen wurde verzichtet, obwohl die Planung offenkundig einen Eingriff in Natur und Landschaft zuließ. Gegen diesen Bebauungsplan wendete sich der Eigentümer eines angrenzenden Grundstücks mit einem Normenkontrollantrag. Das OVG Münster erklärte den Bebauungsplan daraufhin für unwirksam.

„Wohnnutzung“ ist enger zu verstehen als das „allgemeine Wohngebiet“ gem. § 4 BauNVO

Das OVG stellte zunächst klar, dass sich die Gemeinde bei der Auswahl des beschleunigten Verfahrens nur auf § 13b BauGB, nicht aber auf § 13a stützen konnte. Das beschleunigte Verfahren nach § 13a BauGB erlaubt keine Siedlungserweiterung in den Außenbereich hinein (was hier der Fall war). Das ermöglicht nur § 13b BauGB, der wesentlich strengere Voraussetzungen enthält. Dazu zählt, dass der Bebauungsplan nur eine „Wohnnutzung“ ermöglichen darf. Die Festsetzungen des Bebauungsplans beschränkten sich nach Auffassung des OVG aber nicht auf eine Wohnnutzung im Sinne der Vorschrift. Zwar sei es der Gemeinde unbenommen, ein allgemeines Wohngebiet in Part Sinne von § 4 BauNVO im beschleunigten Verfahren festzusetzen. Um den Kriterien der Wohnnutzung zu entsprechen, müssten dann allerdings alle gewerblichen Nutzungen, die nach § 4 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässig sind, über § 1 Abs. 5 BauNVO generell ausgeschlossen werden. Von den in § 4 Abs. 3 BauGB genannten ausnahmsweise zulässigen Nutzungen hatte die Gemeinde aber nur die Gartenbaubetriebe und Tankstellen ausdrücklich ausgeschlossen. Betriebe des Beherbergungsgewerbes, sonstige nicht störende Gewerbebetriebe und Anlagen für Verwaltungen hatte sie hingegen als mögliche Ausnahmen belassen. Diese Nutzungen hätten folglich auf der Ebene der Vorhabenzulassung als Ausnahme gemäß § 31 Abs. 1 BauGB genehmigt werden können. Aus diesem Grund sah das OVG die Voraussetzung des § 13b BauGB, wonach ausschließlich Flächen für die Wohnnutzung festgesetzt werden dürfen, als nicht erfüllt an.

Folgefehler führen zur Unwirksamkeit des B-Plans (wenn sie gerügt werden)

Verfahrens- und Formvorschriften führen bekanntlich nicht automatisch zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans. Nur solche Fehler, die nach §§ 214, 215 BauGB als beachtlich eingestuft werden, haben die Unwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge. Ein Fehler der Gemeinde bei der Auswahl des beschleunigten Verfahrens hat demnach gar keine unmittelbaren Konsequenzen für den Bebauungsplan. Denn dieser Fehler ist in § 214 BauGB nicht aufgeführt. Aus der falschen Verfahrenswahl ergeben sich aber regelmäßig Folgefehler, die oftmals beachtlich sind. Das fängt damit an, dass die Umweltprüfung nicht durchgeführt wurde. Zwar verbietet das beschleunigte Verfahren natürlich keine Umweltprüfung. Es stünde der Gemeinde also frei, auch im (vermeintlich zulässigen) beschleunigten Verfahren eine Umweltprüfung durchzuführen. Da der Verzicht auf die Umweltprüfung aber gerade die Attraktivität des beschleunigten Verfahrens ausmacht, wird das nur äußerst selten der Fall sein.

Der zweite, im Sinne von § 214 BauGB beachtliche Folgefehler liegt darin, dass die Notwendigkeit von Ausgleichsmaßnahmen in der Abwägungsentscheidung nicht berücksichtigt wird. Denn natürlich wählt auch hier die Gemeinde gerade deshalb das beschleunigte Verfahren, weil sie in der Regel Eingriffe in Natur und Landschaft nicht auszugleichen braucht. Diesbezügliche Ermittlungen in Form einer Eingriffs-Ausgleichs-Bilanz und einer Abwägung über die daraus zu ziehenden Konsequenzen unterbleiben daher meist. Dies stellt einen Fehler im Abwägungsvorgang dar (§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 BauGB).

Schließlich – gewissermaßen als dritter Folgefehler – macht die Gemeinde im beschleunigten Verfahren regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch, in der Hinweisbekanntmachung gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB auf die Angabe zu verzichten, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind. Fehlt es an den Voraussetzungen für das beschleunigte Verfahren, stellt auch das einen beachtlichen Fehler nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB dar. Ist das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen, kann die Gemeinde eigentlich nur noch hoffen, dass es keinem auffällt: Nach § 215 BauGB werden die genannten Folgefehler unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres ab Inkrafttreten des Bebauungsplans schriftlich gegenüber der Gemeinde gerügt werden. Alternativ kann sie versuchen, die Fehler im ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 3 BauGB zu beheben. Dafür muss sie entweder die Planung so ändern, dass die Voraussetzungen der §§ 13a oder 13b BauGB nunmehr erfüllt sind oder auf die Vorteile verzichten und die Planaufstellung im Regelverfahren durchführen. So oder so wird die Gemeinde dafür die förmliche Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung und alle nachfolgenden Schritte wiederholen müssen.

Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung des OVG Münster fügt sich ein in eine Reihe obergerichtlicher Entscheidungen, insbesondere des Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim und des Bayerischen VGH, die das Merkmal der „Wohnnutzung“ im § 13b BauGB sehr eng auslegen. Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts steht weiterhin aus. Solange keine höchstrichterliche Klärung vorliegt, sind Städte und Gemeinden gut beraten, bei der Anwendung des beschleunigten Verfahrens nach § 13b BauGB nur reine Wohngebiete (§ 3 BauNVO) oder allgemeine Wohngebiete (§ 4 BauNVO) festzusetzen und dabei alle gewerblichen Nutzungen, die in § 4 Abs. 3 BauNVO genannt sind, vollständig auszuschließen. Wenn das mit den städtebaulichen Zielen der Gemeinde nicht vereinbar ist, sollte sie aus Vorsicht lieber in den sauren Apfel beißen und das normale Planaufstellungsverfahren wählen.