Nachtrag bemisst sich anhand tatsächlich erforderlicher Kosten

16.05.2022

Endlich Klarheit: Der neue Einheitspreis ist nicht nur bei Mehrmengen, sondern auch bei Leistungsänderungen anhand der tatsächlich erforderlichen Kosten zu bemessen.

Aus dem von unserer Kanzlei vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt erstrittenen und hier besprochenen Urteil ergibt sich allerdings noch eine zweite bemerkenswerte Botschaft: Sofern die Leistungsbeschreibung und das Baugrundgutachten keine Angaben zu Bodenbelastungen enthalten, hat der Auftraggeber das Risiko etwaiger Mehrkosten zu tragen, die durch den Aushub und die Entsorgung von (doch) belasteten Bodenmaterial entstehen.

Sachverhalt

Der Auftragnehmer, welcher mit Roh- und vorbereitenden Erdbauarbeiten beauftragt worden war, sollte auf Grundlage eines VOB-Bauvertrages unbelasteten Boden ausheben. Nachdem sich herausstellte, dass der Boden - entgegen der Erwartung der Vertragsparteien - belastet war, forderte der Auftragnehmer eine Mehrvergütung für die geänderte Leistung. Schließlich war die Entsorgung des belasteten Materials deutlich kostenintensiver, als für die Entsorgung des unbelasteten Materials veranschlagt worden war. Unklarheiten im Baugrundgutachten gehen zulasten des Auftraggebers Beide mit dem Rechtsstreit befassten Gerichte stellten zunächst übereinstimmend fest, dass der Bauvertrag keine ausdrückliche Regelung für den Fall getroffen hatte, dass kontaminiertes Material zu entsorgen sei. Welche Konsequenzen sich aus diesem Umstand ergeben sollten, sahen die Gerichte jedoch unterschiedlich.

Das Landgericht (LG) Wiesbaden (Urt. v. 16.08.2019 - 5 O 123/16) führte in 1. Instanz aus, dass es Sache des Auftragnehmers sei, die Bodenverhältnisse auf Grundlage des Leistungsverzeichnisses und des vom Auftraggeber eingeholten Baugrundgutachtens zu bewerten. Soweit sich daraus Unklarheiten ergeben sollten, sei der Auftragnehmer verpflichtet, diese durch Nachfragen zu beseitigen. Sofern dieser Pflicht nicht nachgekommen wird, sei der Auftragnehmer auch bereits nach dem ursprünglichen Vertrag zur Abfuhr und Entsorgung des belasteten Aushubs verpflichtet.

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. (Urt. v. 21.09.2020 - 29 U 171/19) erteilte diesem Ansatz in der 2. Instanz eine Absage und stellte zunächst klar, dass unzureichende Leistungsbeschreibungen auslegungsbedürftig sind. Der Bieter, der an einem auf einen VOB-Vertrag zielenden Ausschreibungsverfahren teilnimmt, müsse darauf vertrauen können, dass der Ausschreibende die Ausschreibungsregeln der VOB/C einhält. Aus diesen ergebe sich unter anderem, dass der Auftraggeber zur Beschreibung der Bodenverhältnisse verpflichtet sei, soweit diese für die Kalkulation des Bieters erheblich sind. Diese Informationspflicht umfasse zwingend auch Angaben zu Schadstoffbelastungen, da diese die Höhe der Entsorgungskosten erheblich beeinflussen.

Wenn der Auftraggeber dieser Informationspflicht nicht nachkommt, ist die Entsorgung des kontaminierten Materials folglich nicht geschuldet. Vielmehr bedarf es dann der Anordnung zur Leistungsänderung, welche gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B mit Mehrkosten verbunden ist. Somit trägt der Auftraggeber das finanzielle Risiko unzureichender Angaben zu Bodenbelastungen.

Vergütung der tatsächlich erforderlichen Kosten

Unklar war jedoch noch die Frage, ob die vom Bundesgerichtshof (BGH) entwickelten Grundsätze zur Berechnung des Nachtrags bei Mehrmengen auch auf Leistungsänderungen zu übertragen sind. Während die Stimmen in der Literatur dies aufgrund des nahezu gleichen Wortlauts der Vorschriften bereits bejahten, hatte sich bislang lediglich das OLG Düsseldorf (Urt. v. 19.12.2019 - 5 U 52/19) zum Gleichlauf der Vergütungsberechnung ausgesprochen.

Dieser Ansicht schloss sich das OLG Frankfurt a. M. im vorliegenden Urteil an und stellte klar, dass die Nachträge anhand der tatsächlich erforderlichen Kosten zu berechnen seien. Der Auftragnehmer kann sich daher bei der Berechnung des Nachtrags nicht mehr auf die Fortschreibung seiner ursprünglichen Kalkulation berufen.

Praxistipp

Aus dem Urteil ergeben sich gleich zwei Konsequenzen: Zum einen trägt der Auftraggeber das finanzielle Risiko eines unklaren Baugrundgutachtens. Zum anderen sind die Nachträge bei Mehrmengen und Leistungsänderungen anhand der tatsächlich erforderlichen Kosten zu bemessen. Hinsichtlich des Bodengutachtens sollte jedoch beachtet werden, dass dieses Ergebnis nicht auf jede Konstellation übertragen werden kann, sondern vielmehr – wie so häufig in der Juristerei – die Umstände des Einzelfalls bzw. die konkreten Vertragsgrundlagen maßgeblich sind. Zudem wird derzeit ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (unter dem Aktenzeichen VII ZR 191/21) mit Spannung erwartet, welches die Frage nach der Berechnung von Nachträgen für geänderte Leistung (wie hier) und zusätzliche Leistungen beantwortet. Daraus könnte sich gegebenenfalls eine Abkehr von den durch das OLG Frankfurt a. M. aufgestellten Grundsätze ergeben.

Was in jedem Fall bleibt, ist die Empfehlung, dass Auftragnehmer wie auch Auftraggeber Unklarheiten im Baugrundgutachten frühzeitig nachgehen sollten, um den Konflikten zu entgehen, die sich häufig aus Nachträgen ergeben.