VGH Mannheim zu den Anforderungen an ein zulässiges Bürgerbegehren

15.04.2024

Die Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger, ein Bauleitplanungsverfahren durch einen Bürgerentscheid zu verhindern, sind begrenzt. Die meisten Kommunalverfassungen der Länder sehen mittlerweile vor, ausschließlich über den Aufstellungsbeschluss eines Bebauungsplans einen Bürgerentscheid abzuhalten. Voraussetzung hierfür ist ein zulässiges Bürgerbegehren. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Mannheim) verdeutlicht mit seinem Beschluss vom 26.02.2024 (Az. 1 S 1925/23) die Rechtslage in Baden-Württemberg und zieht einen Vergleich zu seinem Nachbarland Hessen.

Zulässigkeit des Bürgerbegehrens

Der VGH Mannheim hatte über die Zulässigkeit eines konkreten Bürgerbegehrens zu entscheiden. Ziel des Bürgerbegehrens war die Aufhebung des Aufstellungsbeschlusses des Gemeinderates für den konkreten Bebauungsplan und demzufolge der Verzicht der Gemeinde auf die beabsichtigte Planung. Die formalen Voraussetzungen für ein Bürgerbegehren lagen vor. Eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger stimmte für die Aufhebung des Beschlusses des Gemeinderats. Für das Gericht galt es aber zu beachten, dass gleichzeitig mit dem Aufstellungsbeschluss auch die Öffentlichkeit und die Behörden frühzeitig einbezogen wurden (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 BauGB). Obwohl schon einzelne Verfahrensschritte des Bauplanungsverfahrens eingeleitet worden waren, führte dies nicht zur Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens. Nach Ansicht des VGH Mannheims stand dem auch nicht der Ausschlussgrund des § 21 Abs. 2 Nr. 6 Gemeindeordnung (GemO) entgegen, nach dem ein Bürgerentscheid für Bauleitpläne und örtliche Bauvorschriften mit Ausnahme des verfahrenseinleitenden Beschlusses nicht möglich ist. Mit dem erfolgreichen Bürgerentscheid wurde der Aufstellungsbeschluss aufgehoben. Dies hatte einen Planungsverzicht der Gemeinde zufolge.

Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens vor dem VGH Kassel

In dem vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH Kassel) bereits im Jahr 2018 behandelten Fall lagen die formalen Voraussetzungen des Bürgerbegehrens ebenso vor (Beschluss vom 20.09.2018, Az. 8 B 1358/18). Das Bürgerbegehren richtete sich gegen den Beschluss der Gemeindevertretung, einen Bebauungsplan aufzustellen. Der Aufstellungsbeschluss wurde gleichzeitig mit der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit bekanntgegeben. Obwohl ein Bürgerentscheid gegen einen Aufstellungsbeschluss gemäß § 8 b Abs. 2 Nr. 5 a der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) grundsätzlich zulässig ist, wies der VGH Kassel das Bürgerbegehren als unzulässig zurück.

Die Gründe für die unterschiedliche Rechtslage

Die abweichende Rechtsprechung des VGH Mannheims zu einem in Hessen ähnlich gelagerten Fall entspricht der unterschiedlichen Rechtslage in den beiden Bundesländern.

In Baden-Württemberg wurde durch eine Gesetzesänderung des § 21 Abs. 2 Nr. 6 GemO im Jahr 2015 der Zweck verfolgt, eine demokratische Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger über verfahrenseinleitende Beschlüsse in der Bauleitplanung zu ermöglichen. Nach Ansicht des VGH Mannheims läuft dieser Zweck aber leer, wenn sich das Bürgerbegehren nicht gegen Entscheidungen wenden dürfe, die regelmäßig mit der Aufstellung des Bebauungsplans einhergehen. Darunter fällt laut VGH Mannheim auch die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung.

In Hessen ging der Entscheidung ebenso eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2012 voraus. § 8 b Abs. 2 Nr. 5a HGO wurde eingefügt. Durch die „Gesetzesverschärfung“ sollten alle Zwischenentscheidungen der Gemeindevertretung in der gemeindlichen Bauleitplanung nicht länger durch ein Bürgerbegehren angegriffen werden. Nach Ansicht des VGH Kassels fallen unter „Entscheidungen im Rahmen der Bauleitplanung“ aber auch die gemeindlichen Beschlüsse über die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit. Nach Ansicht des VGH Kassels dürfen genau solche Entscheidungen, die zeitlich zwischen dem Aufstellungsbeschluss und dem Satzungsbeschluss liegen, durch die Gemeindevertretung noch nicht getroffen worden sein, wenn der Aufstellungsbeschluss angegriffen wird. Denn diese Zwischenentscheidungen sind gemäß § 8 b Abs. 2 Nr. 5a HGO dem späteren Bürgerentscheid entzogen. Da in dem vorliegenden Fall bereits der Beschluss über die Einleitung der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit getroffen worden war, musste das Bürgerbegehren als unzulässig erachtet werden.

Fazit

In Baden-Württemberg hindert die Einleitung der Bauleitplanung mitsamt seinen verfahrenseinleitenden Beschlüssen nicht die grundsätzliche Möglichkeit, ein zulässiges Bürgerbegehren durchzuführen. In Hessen dürfen hingegen noch keine „Zwischenentscheidungen“ ergangen sein. Trotz der unterschiedlichen Rechtslage sind Bürgerinnen und Bürger in Hessen aber nicht schutzlos gestellt. Sie haben das Recht, den Aufstellungsbeschluss gemäß § 8 b Abs. 2 Nr. 5a HGO mit einem Bürgerentscheid anzugreifen. Nach Ansicht des VGH Kassel können Bürgerinnen und Bürger bis zu einem möglichen Bürgerentscheid ein verwaltungsgerichtliches Eilverfahren anstreben, dass der Aufstellungsbeschluss ausgesetzt wird.