Seit der Neuregelung des Bauvertragsrechts im Jahr 2018 sind die Voraussetzungen für eine Zahlungsverfügung in § 650 c Abs. 3 BGB sowie in § 650 d BGB definiert. Das Oberlandesgericht (OLG) München hat nunmehr mit Beschluss vom 12.03.2024 - 9 U 3791/23 entscheiden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zahlungsverfügung auch dann gelten und einzuhalten sind, wenn die Parteien einen VOB-Vertrag geschlossen haben.
Streit über Anwendbarkeit der Vorschrift
In einem BGB-Bauvertrag kann der Unternehmer mit einer Abschlagsrechnung 80% der in einem vorgelegten Nachtragsangebot genannten Mehrvergütung von seinem Auftraggeber verlangen. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 650c Abs.3 BGB und § 650b Abs.2 BGB. Dieses Recht steht dem Unternehmer aber nur dann zu, wenn sich die Parteien während einer 30-tägigen Verhandlungsphase nicht auf einen Preis einigen konnten und der Auftraggeber daher die Leistungsänderung in Textform angeordnet hat. Sind die Voraussetzungen erfüllt, kann der Unternehmer den Anspruch mittels einstweiliger Verfügung durchsetzen (§ 650d BGB).
Ausgangspunkt für die Entscheidung des Gerichts war ein Streit eines Auftraggebers mit seinem Bauunternehmer, der mit Bauleistungen für ein Tunnelbauvorhaben unter Einbeziehung der VOB beauftragt worden war. Der Unternehmer verlangte für Nachtragsleistungen Abschlagszahlungen nach der 80%-Regelung des § 650c Abs. 3 BGB. Nach der Auffassung des Auftraggebers war der Auftragnehmer hierzu nicht berechtigt, sodass er auf gerichtlichem Wege feststellen lassen wollte, die geltend gemachten Mehrvergütungsansprüche nicht an den Auftragnehmer zahlen zu müssen.
Im Wesentlichen begründete der Auftragnehmer seine Klage damit, dass der Unternehmer die gesetzlichen Voraussetzungen des § 650c Abs. 3 S. 1 BGB nicht eingehalten habe. Insbesondere hätte keine Anordnung einer Leistungsänderung und kein Angebot nach § 650b BGB vorgelegen. Diese Anforderungen gelten aber auch beim VOB-Vertrag. Da der Streit zwischen den Parteien in der mündlichen Verhandlung weiter eskalierte, erklärte der Unternehmer die Kündigung des Vertrages.
§ 650b gilt auch beim VOB-Vertrag!
Der Auftraggeber obsiegte nicht nur in der 1. Instanz, sondern auch gegen die Berufung des Auftragnehmers vor dem OLG München. Der Senat bestätigte die bereits vor dem Landgericht gefallene Entscheidung, dass § 650c Abs. 3 BGB zwar unproblematisch auch beim VOB-Vertrag Anwendung findet, dann jedoch ebenso die gesetzlichen Voraussetzungen des § 650b BGB eingehalten sein müssen.
Das Gericht begründet seine Entscheidung richtigerweise damit, dass die VOB keine mit § 650c Abs.3 BGB vergleichbaren Regelungen enthält. Auch § 16 Abs.1 VOB/B – in welchem Abschlagsrechnungen und die Schlussrechnung geregelt sind – umfasst keine Bestimmungen zu einem vorläufigen Preisbestimmungsrecht des Unternehmers wie es in § 650c Abs. 3 BGB normiert ist. Da die VOB damit keine entsprechende Modifikation des BGB-Bauvertragsrechts festsetzt, gilt die 80%-Regelung des § 650c Abs.3 BGB auch beim VOB-Vertrag.
Indes hat das OLG München ebenso folgerichtig entschieden, dass in diesem Fall aber auch die gesetzlichen Voraussetzungen des § 650b BGB vorliegen müssen, damit ein Abschlagszahlungsanspruch überhaupt entsteht. Der Mehrvergütungsanspruch ist eng mit § 650b BGB verknüpft, welcher ein Angebot aufgrund eines Änderungsbegehrens des Auftraggebers verlangt. Kann dann innerhalb von 30 Tagen keine Einigung der Parteien gefunden werden, hat der Auftraggeber das Recht, die Leistungsänderung nach § 650b Abs.2 BGB anzuordnen. Erst dann entsteht ein durchsetzbarer Anspruch auf Mehrvergütung in Höhe von 80 %.
Abschlagszahlungen in der Praxis
Die Entscheidung des OLG-Senats überzeugt und stellt das klar, was in den meisten Verträgen bereits vermutet, aber noch nicht angewendet wurde. Abschlagszahlungen nach der 80%-Regel des § 650c Abs. 3 BGB können im VOB-Vertrag nur bei Vorliegen aller Voraussetzungen des § 650b BGB verlangt werden. In der Praxis ist daher auf die Erfüllung und die genaue Reihenfolge dieser Tatbestandsvoraussetzungen zu achten: Es muss ein Änderungsbegehren des Auftraggebers vorliegen, sodann ein hierauf bezogenes Vergütungsangebot des Unternehmers erfolgen und nach dem Scheitern einer Einigung nach 30-Tagen eine Anordnung des Auftraggebers ausgesprochen werden.