Nicht jede Überschreitung ist ein Abwägungsfehler
Die nicht bloß geringfügige Erhöhung des Verkehrs und die damit verbundene Lärmzunahme als Folge eines Bebauungsplans, der zum Beispiel eine Gewerbeansiedlung zulässt, muss in der Abwägung berücksichtigt werden. Das ist insoweit nichts Neues. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster (Beschluss vom 17.05.2024 - 10 B 186/24.NE) hatte sich mit einem Fall zu beschäftigen, wo allerdings die Vorbelastung durch Verkehrslärm am Einwirkungsort auf dem Wohngrundstück der Kläger so hoch war, dass die planbedingte Zusatzbelastung zu einer Überschreitung der Grenze führte, die allgemein als Schwelle zur Gesundheitsgefahr angesehen wird.
Einzelbetrachtung nach Lärmarten
Grundsätzlich werden alle Lärmarten isoliert betrachtet. Die Grenzen der Zumutbarkeit ergeben sich jeweils aus den einschlägigen Verwaltungsvorschriften (zum Beispiel die TA Lärm für Gewerbelärm) und den Immissionsschutzverordnungen (zum Beispiel die 16. BImSchV für Verkehrslärm). Der Lärm von Sportstätten oder von Freizeitanlagen wird wiederum nach eigenen Regelwerken betrachtet. Eine Überschreitung der jeweiligen Zumutbarkeitsgrenze lässt sich bei der Aufstellung eines Bebauungsplans in der Abwägung nur schwer rechtfertigen. Die Crux ist dabei: Wirken mehrere unterschiedliche Arten von Lärm auf ein Grundstück ein, mögen diese, jeweils isoliert betrachtet, alle im Bereich der Zumutbarkeit, d. h. unterhalb der jeweils einschlägigen Richt- und Grenzwerte, liegen. Dennoch wirken die unterschiedlichen Lärmquellen schlimmstenfalls alle gleichzeitig auf das Grundstück ein, und den hiervon Betroffenen wird es herzlich egal sein, ob der Gewerbe-, der Verkehrs-, der Freizeitanlagen- oder der Sportanlagenlärm für sich genommen nach den einschlägigen Regelwerken zumutbar ist, solange die Gesamteinwirkung unerträglich ist. Dennoch muss im Regelfall keine Summenbetrachtung vorgenommen werden, die Vorbelastung durch andere Lärmarten fällt damit unter den Tisch.
Sonderfall Gesundheitsgefahr durch Gesamt-Lärmeinwirkung
Anders liegt der Fall jedoch nach stetiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, wenn die Gesamteinwirkung der unterschiedlichen Lärmquellen die Grenze zur Gesundheitsgefahr überschreitet. Auf einen exakten Wert hat sich die Rechtsprechung bislang nicht festgelegt. Jedenfalls liegt eine Gesundheitsgefahr aber spätestens dann vor, wenn die Gesamteinwirkung an einem Immissionsort einen äquivalenten Dauerschallpegel von tagsüber 70 dB(A) oder nachts 60 dB(A) überschreitet. Eine solche Überschreitung ist dann nicht mehr hinnehmbar.
OVG: Geringfügige Überschreitung irrelevant
In dem zu entscheidenden Fall war das Grundstück der Kläger in der Summe bereits mit 60,0 dB(A) nachts vorbelastet. Die Umsetzung des von ihnen angegriffenen Bebauungsplans hätte zur Folge gehabt, dass sich der Wert auf 60,2 dB(A) erhöht hätte. In dem Normenkontrollverfahren beriefen sie sich auf die planbedingte Gesundheitsgefahr. Jedoch ohne Erfolg! Wie schon in früheren Entscheidungen ging das OVG davon aus, dass Pegelerhöhungen im Bereich von 1 bis 2 dB(A) unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen. Aus diesem Grund hat das OVG die geringfügige Überschreitung der 60 dB(A) Grenze nachts um 0,2 dB(A) als unerheblich angesehen.