In Zeiten extremer Wetterlagen rückt Hochwasserschutz in den Mittelpunkt. Dass damit auch eine das Eigentum betreffende Abrissverfügung einhergehen kann, zeigt die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26.07.2024 - 10 A 2100/22).
Sachverhalt
Die Klägerin ist Eigentümerin eines ungenehmigten Wohnhauses in einem ungeplanten Bereich im Stadtgebiet der Beklagten. Für dieses Gebiet liegt kein Bebauungsplan vor. Der mittlerweile geänderte Flächennutzungsplan wies eine Sonderbaufläche „Wochenendhausgebiet“ auf. Das Gebiet liegt in einer Schleife eines Flusses, in unmittelbarer Nähe existiert ein Deich. In der näheren Umgebung stehen Gebäude, die teils zerfallen oder teils großzügig ausgebaut worden sind. Für diese wurde in den letzten Jahrzehnten fast ausschließlich Baugenehmigungen für die Nutzung als Wochenendhäuser erteilt.
Die Klägerin erwarb und bewohnte das streitgegenständliche Haus seit 2000, und zwar dauerhaft, obwohl nur eine Baugenehmigung für ein Wochenendhaus vorlag.
Im Jahr 2013 erließ die zuständige Bezirksregierung eine Verordnung zur Festsetzung eines Überschwemmungsgebiets. Das festgesetzte Überschwemmungsgebiet erfasst seitdem wesentliche Teile des „Wochenendhausgebietes“, also auch das Grundstück der Klägerin. In solchen Gebieten ist die Errichtung und Erweiterung baulicher Anlagen verboten. Die Beklagte wies in den folgenden Jahren die Klägerin auf die Überschwemmungsgebietsverordnung hin, hörte die Klägerin an und verfügte schließlich eine Abbruchverfügung für das streitgegenständliche Haus. Der von der Klägerin erhobenen Klage wurde von dem zuständigen Verwaltungsgericht stattgegeben. Das Gericht stellte fest, dass zwar ein Wohnhaus niemals genehmigt worden ist, sodass die derzeitige Nutzung formell illegal sei. Doch könne sich die Klägerin auf materiellen Bestandsschutz berufen. Denn im Zeitpunkt der Anordnung als Überschwemmungsgebiet sei die Nutzung als Wohnhaus materiell rechtmäßig gewesen.
Entscheidung
Der gegen das Urteil eingelegten Berufung gab das Oberverwaltungsgericht (OVG) statt. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts könne sich die Klägerin nicht auf den materiellen Bestandsschutzberufen. Denn das streitgegenständliche Haus werde seit vielen Jahren nicht mehr als Wochenendhaus genutzt, sondern als dauerhafter Wohnsitz. Eine dauerhafte Wohnungsnutzung habe aber die Beklagte in der Vergangenheit nie aktiv geduldet. Denn die Beklagte habe nicht in Kenntnis der Umstände zuerkennen gegeben, dass sie sich auf Dauer damit abfinde, dass die Klägerin das genehmigte Wochenendhaus tatsächlich als Wohnhaus nutze. Nach Ansicht des OVG seien insbesondere keine schriftlichen Duldungszusagen oder anderweitige Erklärungen gegenüber der Klägerin abgegeben worden.
Die Beklagte habe nach Ansicht des Gerichts das Recht gehabt, erst jetzt auf die Herstellung baurechtmäßiger Zustände hinzuwirken. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass andere ungenehmigte Wohnnutzungen innerhalb des „Wochenendhausgebiets“ aktiv geduldet worden seien. Denn Anhaltspunkte für solche Duldungszusagen habe das OVG ebenso wenig feststellen können. Nach Ansicht des Gerichts erging damit eine rechtmäßige Beseitigungsverfügung. Es konnten auch nicht auf andere Weise (z.B. durch eine Nutzungsuntersagung) rechtmäßige Zustände hergestellt werden. Zwar habe die Klägerin versichert, dass sie selbst das Wohnhaus nicht mehr bewohnen werde und nur ausschließlich als Wochenendhaus an Dritte anbiete. Das OVG bekräftigt aber, dass ein genutztes Wochenendhaus ebenso dem Verbot aus § 78 Abs.4 WHG entgegenstehe.
Fazit
Die Festsetzung von Überschwemmungsgebieten dient unter anderem dazu, sonstige Gebiete, die bei Hochwasser überschwemmt werden, zu entlasten. Sie sind daher elementarer Bestandteil eines funktionierenden Hochwasserschutzes. Für den Hochwasserabfluss ist es essenziell, dass dieser nicht durch Bebauung behindert wird. Daher ist auch gemäß § 78 Abs.4 Satz WHG die Errichtung und Erweiterung baulicher Anlagen in solchen Gebieten unzulässig. Ein Eigentümer eines in einem solchen Gebiet illegal genutzten Wohn- bzw. Wochenendhauses ist nicht schutzlos gegenüber einer behördlichen Abrissverfügung. Denn er kann sich auf den Bestandsschutz als Teil seiner verfassungsrechtlichgeschützten Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG berufen. Allerdings müssen Tatsachen vorliegen, die belegen, dass die Behörde die illegale Bebauung über Jahre aktiv geduldet hat. Letzteres war vorliegend nach Ansicht des OVG nicht der Fall.