BGH: „Freie“ Kündigung durch AG – Kein Abzug des Wagniszuschlages

21.06.2016

Der Auftragnehmer (AN) fordert von der Auftraggeberin (AG) die Zahlung einer restlichen Vergütung aus einem gekündigten Bauvertrag über die Erbringung von Rohbauarbeiten, der nach öffentlicher Ausschreibung zustande kam.In dem Formblatt 221 (Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation) gab AN einen Gesamtzuschlag von 15 % an, der sich aus je 5 % für Baustellengemeinkosten, allgemeine Geschäftskosten und Kosten für Wagnis und Gewinn zusammensetzte.Bei Besichtigung des Bestandsgebäudes wurden Schäden festgestellt. AN legte der AG ein Nachtragsangebot vor, das diese nicht annahm. AG kündigte den Bauvertrag mit sofortiger Wirkung. AN erteilte der AG eine Schlussrechnung über 90.527,75 € brutto. AG leistete hierauf eine Zahlung in Höhe von 35.107,15 € wies auf die Ausschlusswirkung der Schlusszahlung nach § 16 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B hin. AN machte gemäß § 16 Nr. 3 Abs. 5 VOB/B einen Vorbehalt gegen die Schlusszahlung geltend. Mit der Klage hat AN zunächst nur den sich nach Abzug der von der AG geleisteten Zahlung ergebenden Betrag aus der ursprünglichen Schlussrechnung in Höhe von 55.420,60 € geltend gemacht. Im Rahmen des Verfahrens legt AN eine zweite Schlussrechnung über einen Betrag von 194.149,93 € vor. AN hat die Klage um den Wagniszuschlag erweitert.Die Vorinstanzen haben der Klage fast umfänglich stattgegeben. Im Hinblick auf den Zuschlag für Wagnis habe AN durch die freie Kündigung der AG keine Aufwendungen erspart. Hierbei handele es sich nicht um Kosten im baubetrieblichen Sinn. Das sogenannte Wagnis sei vielmehr dem Gewinn zuzurechnen, da es die Belohnung für das allgemeine unternehmerische Risiko darstelle.

Der BGH bestätigt dieses Ergebnis. Der AN ist im Falle der Kündigung des AG gemäß § 649 Satz 2 BGB, § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Erspart sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diejenigen Aufwendungen, die der Unternehmer ohne die Kündigung gehabt hätte und die infolge der Kündigung entfallen sind (BGH, Urteil vom 28.10.1999 - VII ZR 326/98). Eine Ersparnis kommt vor allem bei den projektbezogenen Herstellungskosten und den variablen, projektbezogenen Gemeinkosten in Betracht. Gewinn und Allgemeine Geschäftskosten, die nicht projektbezogen anfallen, sind nicht erspart.Nach diesen Grundsätzen ist der vom Auftragnehmer neben dem Gewinn kalkulierte Zuschlag für Wagnis im Falle einer „freien“ Kündigung des Werkvertrags durch den Auftraggeber nicht als ersparte Aufwendung von der vereinbarten Vergütung nach § 649 Satz 2 BGB, § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B in Abzug zu bringen, wenn mit diesem Zuschlag das allgemeine unternehmerische Risiko für die durch die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmers allgemein begründete Verlustgefahr abgesichert werden soll (vgl. Kapellmann/Messerschmidt/Lederer, VOB/B, 5. Aufl., § 8 Rn. 38). Die zur Abgeltung des allgemeinen Unternehmerwagnisses kalkulierte Kostenposition dient vielmehr zur Absicherung von Risiken, die mit dem Geschäftsbetrieb als solchem verbunden sind. Ihr stehen keine tatsächlichen Kosten des AN gegenüber. Es kommt daher nicht darauf an, ob sich das Risiko, das mit diesem Wagniszuschlag abgedeckt werden soll, im konkreten Fall verwirklicht hat oder nicht. Das durch den Geschäftsbetrieb im Allgemeinen begründete Risiko des AN besteht unabhängig davon, ob im Einzelfall der Vertrag ausgeführt wird.Nach diesen Grundsätzen sind die vom AN im Formblatt 221 ausgewiesenen Zuschläge für Wagnis und Gewinn insgesamt nicht als ersparte Aufwendungen anzusehen und daher nicht in Abzug zu bringen. Der AN durfte die Überschrift und den Inhalt des vom AG vorgeschriebenen Formblatts 221 "Wagnis und Gewinn" so verstehen, dass mit dieser Kostenposition der für das allgemeine Unternehmerrisiko kalkulierte Zuschlag angegeben werden sollte.

Praxishinweis:

Der Bundesgerichtshof erkennt an, dass bei der Abrechnung eines frei gekündigten Werkvertrages der kalkulierte Zuschlag für Wagnis nicht als ersparte Aufwendung von der Vergütung nach § 649 Satz 2 BGB, § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2006) in Abzug zu bringen ist. Damit grenzt sich das Gericht von seiner früheren Entscheidung BGH "Freie Kündigung, Wagnis I" aus dem Jahre 1997 (VII ZR 222/96, BauR 1998, 185 = IBR 1998, 50) ab.