OLG Brandenburg: Kein Mehrvergütungsanspruch bei Bauzeitverzögerung, wenn kein verbindlicher Bauzeitenplan vereinbart wurde

19.05.2016

Der Auftraggeber (AG), dem kraft Gesetzes die Straßenbaulast für die Bundesautobahnen obliegt, schrieb die Errichtung von Lärmschutzwänden an einer Bundesautobahn öffentlich aus und erteilte 2001 den Zuschlag auf das Angebot des Auftragnehmers (AN). Der Ausführungszeitraum sollte 120 Tage betragen. In einer der beiden Anlagen zum Zuschlagschreiben hatten die Prozessparteien unter explizitem Hinweis auf "Verzögerungen beim Streckenbau der A ... im Bereich der Lärmschutzwand B..." die Bauausführung "frühestens ab Januar 2003" vereinbart, wobei der Baubeginn nach gesonderter Übereinkunft mit dem Dezernat Baudurchführung des Brandenburgischen Autobahnbauamtes festgelegt werden sollte. Am 30.11.2001 übergab der AG dem AN ein Bauzeitenplan, der allerdings nicht Vertragsbestandteil war. Aufgrund von Verzögerungen durch Vorunternehmer konnte der für Juni 2003 vom AG angeordnete Baubeginn nicht eingehalten werden. Im März 2004 wurden Leistungen durch den AN ausgeführt. Es wurden zahlreiche Behinderungen vom AN vorgetragen und Mehrkosten wegen des gestörten Bauablaufs in Höhe von 188.000 € erfolglos geltend gemacht. Das Landgericht wies die Klage des AN mit der Begründung ab, der AN könne derartige Mehrkosten weder nach § 2 Nr. 5 Satz 1 und § 6 Nr. 6 VOB/B noch nach § 642 Abs. 1 BGB verlangen, weil bereits ein verbindlicher Bauzeitenplan für die Arbeiten an Ort und Stelle fehlen würde.

Die Berufung des AN gegen das erstinstanzliche Urteil blieb erfolglos. Die nach § 2 Nr. 5 Satz 1 und § 6 Nr. 6 VOB/B sowie § 642 Abs. 1 BGB in Betracht kommenden Bauzeitbezogene Ansprüche würden bereits daran scheitern, dass ein verbindlicher Bauzeitenplan für die Arbeiten an Ort und Stelle fehlen würde, so das Oberlandesgericht. Die Bauausführung wurde "frühestens ab Januar 2003" vereinbart. Dem objektiven Wortlaut nach seien die Formulierungen eindeutig: Das verwendete Adverb besage laut Duden "nicht vor" und würde keineswegs zum Ausdruck bringen, wann eine Handlung oder ein Ereignis spätestens stattzufinden habe. Es fehle also an einer verbindlichen Vereinbarung, wann die Bauzeit von 120 Tagen beginnen sollte. Zudem wurde in die Baubeschreibung ausdrücklich der Hinweis aufgenommen, dass es Sache des AN sei, die Reihenfolge und Abwicklung der Arbeiten mit dem AG festzulegen. Ferner enthielte die Baubeschreibung Regelungen betreffend "gleichzeitig laufender Bauarbeiten". Auch ein Anspruch nach § 642 Abs. 1 BGB könne nicht erfolgreich geltend zu machen, da ein substantiierter Vortrags zum Grunde erforderlich sei, woran jedenfalls dann strenge Anforderungen zu stellen sind, wenn es um hochkomplexe technische Sachverhalte gehe, bei dem durch das Zusammentreffen von Kausalverläufen aus unterschiedlichen Sphären eine Gemengelage entstehen würde. Es sei nicht ausreichend lediglich zur Höhe des Anspruchs (hier: Vielzahl von Problemen und Störungen beim geordneten Bauablauf) vorzutragen.

Praxishinweis:

Gegen die Entscheidung bestehen erhebliche Bedenken, denn hiernach könnte jeder AG mit einer entsprechenden Formulierung in den Vertragsunterlagen Mehrvergütungsansprüche des AN bei Bauzeitverzögerung unterlaufen. Nach Auffassung des OLG gibt es keine Behinderung im privaten Baurecht ohne eine verbindlich vereinbarte Vertragsfrist. Der Auftraggeber könnte sich beispielsweise unangemessen lange mit der Ausführung Zeit lassen, ohne irgendwelche finanziellen Konsequenzen befürchten zu müssen. Wenn vereinbart ist, dass der Auftragnehmer frühestens ab einem bestimmten Zeitpunkt mit der Ausführung beginnen darf und der Leistungszeitraum aus den Vertragsunterlagen sich bestimmen lässt, dann kann man durchaus davon ausgehen, dass ein verbindlicher Bauablauf vereinbart wurde. Die zeitliche Planung der Gesamtmaßnahme obliegt im Übrigen gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B dem AG, sodass er für die Koordination gleichzeitig laufenden Bauarbeiten zu sorgen hat. Er ist bei einer Bauzeitverlängerung Mehrvergütungsansprüchen des AN gem. § 2 Nr. 5 Satz 1 und § 6 Nr. 6 VOB/B sowie § 642 Abs. 1 BGB ausgesetzt, wenn dieser die Anspruchsvoraussetzungen der Höhe und dem Grunde nach substantiiert darlegen und beweisen kann.