VK Westfalen: Kanalreinigung, Kanaluntersuchung und –dokumentation sind keine Bauleistungen

05.04.2016

Der Fachbereich Tiefbau der Auftraggeberin (Ag) hatte sowohl die Kanalunterhaltsreinigung 2015 als auch die Kanal-TV-Untersuchung mit kombinierter Reinigung 2015 im Frühjahr 2015 im Rahmen zweier nationaler Vergabeverfahren nach den Vorschriften der VOB/A, 1. Abschnitt ausgeschrieben. Die Antragstellerin (ASt) hatte sich an beiden Ausschreibungen beteiligt. Sie hatte sich auch in den voran gegangenen Jahren an diesen Ausschreibungen beteiligt und seit 2007 in jedem Jahr den Zuschlag erhalten.Die ASt hatte ein Angebot vom 11.03.2015 zu der Maßnahme Kanal-TV-Untersuchung und Reinigung 2015 fristgerecht abgegeben und eine Verpflichtungserklärung nach TVgG zum Mindestlohn beigefügt.

Mit Schreiben vom 21./23.04.2015 teilte die Ag der ASt mit, dass auf ihr Angebot kein Zuschlag erteilt werden könne, da die Erklärung zu den Mindestlohnvorgaben nicht den Vorgaben für das Baugewerbe entsprochen habe.Die ASt rügte daraufhin ein fehlerhaftes Verfahren, ferner eine unzureichende Information. In der Rüge vertritt sie die Auffassung, dass sie über die beabsichtigte anderweitige Auftragserteilung gem. § 101a GWB hätte informiert werden müssen, da die ausgeschriebene Leistung als Dienstleistung zu betrachten ist und daher EU-weit hätte ausgeschrieben werden müssen. Mit ergänzender Rüge hat sie weiterhin beanstandet, dass unter der Voraussetzung einer zulässigen Ausschreibung nach VOB/A 1. Abschnitt die Leistungsbeschreibung mangelhaft sei, da keine hinreichenden Ausführungsfristen festgelegt worden seien. Nachdem der Rüge nicht abgeholfen wurde, hat die ASt ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet, so die Vergabekammer. Die ASt werde durch die Wahl des falschen Vergabeverfahrens in ihren Rechten nach § 97 Abs.1 und 7 iVm § 98 Abs.4 S. 3 GWB verletzt.Bei der ausgeschriebenen Leistung handle es sich um einen Dienstleistungsauftrag nach § 99 Abs. 4 GWB. Der Charakter eines Vertrages richtet sich gem. § 99 Abs. 10 S. 2 GWB nach dem Hauptgegenstand des Vertrages (vgl. EuGH-Urteil vom 21.02.2008 - RS.C 412/04, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.04.2014 - VerG 35/13).Maßgeblich sei, ob die im Vertrag enthaltenen Bauleistungen neben den ausgeschriebenen Dienstleistungen Nebenarbeiten sind. Entscheidend sei dabei die funktionale Zuordnung der Leistungen zum jeweiligen Vertragstyp und deren gegenständliche vertragliche Bedeutung. Gemessen an diesen Vorgaben ist festzustellen, dass der Hauptgegenstand und der Schwerpunkt der Leistungen Reinigungsarbeiten in den Kanälen ist. Diese Reinigung umfasse im Wesentlichen Staub- und Spülmaßnahmen zur Beseitigung von Feststoffen und Klemmen mit speziellen Fahrzeugen. Gleichzeitig seien TV-Untersuchungen durchzuführen.Das Leistungsverzeichnis umfasse somit keinerlei Bauarbeiten. Den Verfahrensverstoß habe die ASt zwar verspätet gerügt, dies sei jedoch irrelevant, denn letztlich sei durch die fehlende Information und Wartezeit der effektive Rechtsschutz der ASt vereitelt worden.Aus diesem Grunde habe der Gesetzgeber ganz grundsätzlich und umfassend auf die Rügepflicht bei schwebend unwirksamen Verträgen nach § 101b Abs.1 Nr.2 GWB verzichtet, denn nach § 107 Abs.3 S. 2 GWB würde Satz 1 dieser Vorschrift für diese Fälle nicht gelten. Die ASt konnte vorliegend nach Auffassung der Kammer die Fehlerhaftigkeit der Ausschreibung im Verfahren nicht erkennen.Die fehlerhafte Zuordnung der Mindestlohnerklärung, die als Ausschlussgrund für das Angebot der ASt herangezogen worden war, beruht auf den grundsätzlich fehlerhaften Einschätzungen des Ag hinsichtlich der Verfahrensart nach VOL/A.

Praxishinweis:

Die Entscheidung ist zutreffend. Ein Vertrag über die Lieferung und Montage von Bauteilen ist nur dann ein Bauvertrag, wenn Bauleistungen vor Ort den Vertrag prägen.Bei Aufträgen über die Lieferung und Montage von Bauteilen stellt sich regelmäßig die Frage, ob die Aufträge als Bau- oder Lieferauftrag zu bewerten sind. Die Einordnung als Bau- oder Lieferauftrag hat - wie man hier sieht - weitreichende Konsequenzen, da für Bau- bzw. Lieferaufträge unterschiedliche Schwellenwerte für die europaweite Vergabe gelten. Bei nationalen Vergaben gibt es außerdem unterschiedliche Wertgrenzen für die Beschränkte Ausschreibung oder Freihändige Vergabe.Das OLG Düsseldorf hat sich in einem Beschluss vom 30.04.2014, Az.: VII-Verg 35/13, ausführlich mit der Abgrenzung von Bau- und Lieferaufträgen befasst, die Lektüre dieser Entscheidung darf empfohlen werden.