OLG München: Aufnahme von Wahl- oder Alternativpositionen in das LV nur bei berechtigtem Interesse

18.03.2016

Gegenstand der Ausschreibung war der Neubau einer über die Bundesautobahn 92 führenden Brücke. Der Auftraggeber (AG) hatte die Bauleistung im offenen Verfahren ausgeschrieben. Der Preis war das einzige Zuschlagskriterium. Nebenangebote waren nicht zugelassen. Der Preis sollte aus der Wertungssumme des Angebotes ermittelt werden. Die Wertungssumme sollte wiederum aus der nachgerechneten Angebotssumme, insbesondere unter Berücksichtigung von Nachlässen, dem eventuellen Erstattungsbetrag aus der Lohngleitklausel, preislich sowie preislich günstigeren Grund- und Wahlpositionen berechnet werden. Der AG hatte unter der Position 1.19.160 des Leistungsverzeichnisses eine Brückenkonstruktion vorgegeben, deren Voraussetzungen nur von einem bestimmten Produkt einer Firma erfüllt werden konnten. Zugleich hatte der AG aber die Möglichkeit eröffnet, als Alternative Übergangskonstruktionen anderer Hersteller vorzuschlagen. Nach der Wertung lag die Beigeladene auf Platz 1, die Antragstellerin (AS) auf Platz 2 der Reihenfolge. Beide hatten auch die Wahlposition mit einem günstigeren Preis als den der Hauptposition angeboten - die Beigeladene günstiger als die AS. Die AS hatte erst nach Erhalt der Mitteilung gemäß § 101a GWB die Ausschreibungstechnik gerügt. Der AG hielt dem Nachprüfungsantrag Rügepräklusion gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB entgegen. Die Vergabekammer hält den Nachprüfungsantrag für zulässig und begründet und führt insbesondere aus, dass die Antragstellerin nicht wegen einer Verletzung der Rügeobliegenheit gemäß § 110 Abs. 3 GWB präkludiert sei. Die Beantwortung der Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen Alternativpositionen vergaberechtlich zulässig ausgeschrieben werden können, erfordere juristisches Spezialwissen, welches auch bei einem erfahrenen Bieter nicht vorausgesetzt werden könne.

Ebenso wie die Vergabekammer verpflichtet auch das OLG München den AG zur Neubewertung der Angebote. Denn die gewählte Ausschreibungstechnik ist vergaberechtswidrig. Eine Vergabestelle darf nicht nach Belieben Grund- und Alternativpositionen ausschreiben. Zwar ist das anders als für Eventualpositionen (hierfür gilt § 7 Abs. 1, Nr. 4 Satz 2 VOB/A) nicht gesetzlich geregelt. Von den Gerichten wird eine solche Ausschreibung nur dann ausnahmsweise für zulässig gehalten, wenn ein bestimmtes berechtigtes Bedürfnis des Auftraggebers daran besteht, die zu beauftragende Leistung einstweilen offen zu halten. Ein solches berechtigtes Interesse soll zum Beispiel dann bestehen, wenn nur mit Hilfe der Ausschreibung und entsprechenden Wahlpositionen die Kosten für die verschiedenen Ausführungsvarianten ermittelt werden können. Entweder - so das OLG München - kann die Leistung herstellerunabhängig beschrieben werden, dann hätte von vorneherein produktneutral ausgeschrieben werden müssen. Oder es kommt aus technischen Gründen nur ein bestimmtes Produkt infrage. Dann wäre dieses zwingend vorzugeben gewesen, was ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann. Bei der Bewertung nur des Preises als Zuschlagskriterium darf nicht alternativ zur vorgegebenen Ausführung eine Wahlposition abgefragt werden, da kein Raum besteht, Qualitätsunterschiede zu bewerten.

Praxishinweis:

Zur Vermeidung einer möglichen Wettbewerbsverzerrung durch Bedarfspositionen in Leistungsverzeichnissen wurde die Regelung über Bedarfspositionen verschärft. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A sind in der Leistungsbeschreibung Bedarfspositionen grundsätzlich nicht aufzunehmen. Bedarfsleistungen beinhalten Leistungen mit dem Vorbehalt, dass sie unter Umständen zusätzlich zu einer im Leistungsverzeichnis enthaltenen Leistung auszuführen sind. Es handelt sich um Leistungen mit dem Anspruch des AG, auf ihre Ausführung verzichten zu können, ohne dass dadurch die Notwendigkeit einer Teilkündigung entsteht. Deshalb sind die Bedarfspositionen nicht mit dem Zuschlag, sondern erst bei Bedarf in Auftrag zu geben. Eine Ausschreibung von Bedarfsleistungen, von nur eventuell benötigten (unter der aufschiebenden Bedingung eines Abrufs durch den AG stehenden) Leistungen ist nicht per se unstatthaft, sondern kann unter Bestimmten Voraussetzungen zulässig sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.2013 - VII-Verg 26/12).