VK Südbayern: Es muss immer (noch) gerügt werden, wenn auch nicht (mehr) unverzüglich!

24.07.2015

Die Auftraggeberin (AG) beabsichtigte die Vergabe von Gebäude- und Glasreinigung für verschiedene Gebäude und hat dies im Rahmen einer europaweiten Bekanntmachung im Wege eines Offenen Verfahrens nach dem 2. Abschnitt der VOL/A veröffentlicht. Nebenangebote wurden gemäß Ziffer II.1.9 der Bekanntmachung nicht zugelassen. Die zu vergebenden Leistungen sollten in zwei Losen vergeben werden.

Bei der Vergabe von Reinigungsleistungen wurde die Anzahl der Reinigungsstunden pro Jahr als Zuschlagskriterium herangezogen. In einem vom AG vorgegebenen Korridor von Mindest- und Maximalwerten durften die Bieter ihre geplanten Reinigungszeiten angeben. Eine höhere Anzahl Reinigungsstunden wird als Hinweis auf eine gute Qualität positiv bewertet.Für Los x gaben bis zum Angebotsschlusstermin 13 Bieter ein Angebot ab. Davon wurden die Angebote von 3 Bietern ausgeschlossen. Nach der Wertung der 10 verbliebenen Bietern lag der Bieter auf Platz 5. Mit Schreiben vom 05.12.2014 teilte die AG dem Bieter mit, dass beabsichtigt sei, der XX GmbH & Co. KG den Zuschlag am 16.12.2014 für Los X zu erteilen und dass das sein Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es nicht das Wirtschaftlichste sei.

Gegen die Wertung der AG wendet er sich nun. Im Rügeschreiben macht er eine ungenügende Vorinformation geltend und, dass das Zuschlagskriterium AGB-widrig sei, weil es Dienst- und Werkvertragsrecht vermische (1). Im Nachprüfungsantrag legt der Bieter nach. Demnach sei das Kriterium "Jährliche Ausführungszeit"sachwidrig und intransparent, da dessen Erfüllung gegen § 307 Abs. 1, 2 BGB verstoße (2). Das Kriterium verstoße auch gegen den Wirtschaftlichkeitsgrundsatzdes § 97 Abs. 5 GWB, weil alle Bieter innerhalb des vorgegebenen Korridors dieselben hohen Reinigungszeiten angeben würden, so dass die Wertung letztlich allein nach dem Preis erfolge (3). Das Kriterium der abgefragten Reinigungsleistungswerte werde - ungeachtet seiner vergabe- und zivilrechtlichen Unzulässigkeit - marginalisiert und im Ergebnis sinnentleert und für die Auswahlentscheidung bedeutungslos. Außerdem sei das Kriterium sachwidrig, weil es nicht in einem echten Zusammenhang mit dem Auftrag stehe (4). Im weiteren Nachprüfungsverfahren ergänzt der Bieter seinen Vortrag nach gewährter Akteneinsicht. Demnach sei das Kriterium auch wegen einer Doppelwertung unzulässig, weil die Anzahl der Reinigungsstunden auch in die Wertung des Angebotspreises einfließe und daher in der Wertung transparenzwidrig doppelt berücksichtigt werde (4).

Diese Auffassung hielt der rechtlichen Prüfung nicht stand, denn die Vergabekammer trennte zwischen den einzelnen Rügepunkten des Bieters. Obwohl stets dasselbe aus verschiedenen Gründen für vergaberechtswidrig gehaltene Zuschlagskriterium betroffen ist, weist die Vergabekammer diejenigen Vorwürfe als präkludiert zurück, die nicht bereits im Rügeschreiben des Bieters enthalten waren. Zwar ist in § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB das Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit europarechtswidrig und daher bis zu einer Neuregelung mit einer konkret in Tagen bemessenen Frist nicht mehr anzuwenden. Dennoch ist jeder Bieter, der einen Nachprüfungsantrag stellen möchte, zwingend verpflichtet, vor Stellung des Nachprüfungsantrags einen möglichen Vergaberechtsverstoß zu rügen. Die Rüge enthielt hier jedoch nur den Vorwurf einer AGB-widrigen Vermischung von Dienst- und Werkvertragsrecht. Alle später vorgetragenen Vergaberechtsverstöße wurden nicht gerügt, obwohl dies vor Antragstellung möglich gewesen wäre. Die nachgeschobenen Rügepunkte sind nicht erst im Zuge des Nachprüfungsverfahrens bekannt geworden. Sie stellen auch nicht nur einen weiteren rechtlichen Begründungsansatz für die Vergaberechtswidrigkeit eines bereits gerügten Sachverhalts dar. Der Bieter hat nur die AGB-Widrigkeit des Zuschlagskriteriums gerügt, nicht aber die Vergaberechtswidrigkeit des Wertungssystems an sich.

Praxishinweis:

Diese Entscheidung verdeutlicht, dass eine Rüge zwar nicht mehr "unverzüglich" erfolgen muss, aber deshalb nicht entbehrlich ist. Besonderes Augenmerk ist zu legen, auf die Differenzierung, die die Vergabekammer vornimmt. Die Kammer unterscheidet striktnach erfolgten und nichterfolgten Rügen, obwohl alle Vorwürfe dasselbe Zuschlagskriterium betrafen. Auch wenn die Rüge hinreichend deutlich und substantiiert sein muss, sollte auf eine offenere Formulierung der Rüge geachtet werden. Die Entscheidung zeigt, dass unnötig enge Eingrenzungen zu einer Präklusion führen können. In der Praxis sollte der Nachprüfungsantrag vor der Einreichung dem Auftraggeber übersandt werden, um ggf. dadurch das Rügeerfordernis doch noch zu erfüllen.