OLG München: Die einheitliche Vergabe eines Auftrages ohne Bildung von Fachlosen ist nur in Ausnahmefällen zulässig (hier verneint für Lärmschutzwand).

20.04.2015

Die Antragstellerin ist ein Unternehmen, welches sich auf die Errichtung von Lärmschutzwänden spezialisiert hat. Der Antragsgegner führt im Auftrag des Bundes Straßenbaumaßnahmen an Bundesstraßen und Bundesautobahn durch. Der Antragsgegner beabsichtigte die Vergabe der Arbeiten „Erneuerung der Fahrbahndecke und temporären Seitenstreifenfreigabe, Fahrbahn A: Erd- und Deckenbauarbeiten für Fahrbahninstandsetzung; Oberbauarbeiten in Asphalt, Erdbauarbeiten, Entwässerungsarbeiten; Brückenbauarbeiten, Lärmschutzwandarbeiten, passive Schutzeinrichtungen“ und hat dies im Rahmen einer EU-weiten Bekanntmachung mit Veröffentlichung im Wege eines offenen Verfahrens nach den Bestimmungen der VOB/A angekündigt. Die Vergabe sollte einheitlich, also nicht in Fachlose aufgeteilt, erfolgen. Nach erfolgloser Rüge betreffend die Vergabekonzeption, leitete die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren mit der Begründung ein, dass der Antragsgegner mit der geplanten Art der Ausschreibung gegen das Gebot des § 97 Abs. 3 Satz 3 GWB und § 5 Abs. 2 VOB/B (2012), wonach regelmäßig eine Aufteilung in Fachlose erfolgen müsse, verstoße. Die Antragstellerin hielt den Antrag mangels Passivlegitimation für unzulässig, hilfsweise für unbegründet, da im vorliegenden Fall wirtschaftliche Gründe das Absehen von einer Fachlosbildung erfordern würden. Die Vergabekammer hat die Zulässigkeit des Antrages bejaht, den Antrag jedoch als unbegründet zurückgewiesen, da im konkreten Fall für die einheitliche Vergabe die extreme Komplexität der Gesamtsituation bei sehr engem Zeitrahmen und rollendem Verkehr spreche.

Das OLG München hat der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin stattgegeben und die Antragsgegnerin verpflichtet, das Vergabeverfahren in dem erforderlichen Umfang aufzuheben und bei fortbestehender Vergabeabsicht die Leistung in Fachlosen neu auszuschreiben.

Die Passivlegitimation der Antragstellerin wurde in konsequenter Fortführung der Rechtsprechung bejaht, da die Bundesländer im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung die Ausschreibung in eigener Verantwortung durchführen (Prinzip des landeseigenen Vollzugs von Bundesgesetzen), weswegen sich der Nachprüfungsantrag gegen das Land zu richten habe.

Nach Auffassung des OLG verstoße die einheitliche Vergabe des gesamten Auftrags gegen das in § 97 Abs. 3 GWB enthaltene Gebot, Fachlose zu bilden, wenn nicht wirtschaftliche oder technische Gründe entgegenstehen. Die Arbeiten im Zusammenhang mit der Errichtung einer Lärmschutzwand seien geeignet, ein Fachlos zu bilden, weil sie ausreichend abgrenzbar seien. Es habe sich hierfür ein Markt gebildet, auf dem Anbieter solche Arbeiten als eigenständigen Auftrag übernehmen und gleichzeitig diese Arbeiten nicht untrennbar mit anderen verflochten seien. Ob Fachlose zu bilden seien, sei für jedes in Betracht kommende Fachgewerk getrennt zu beantworten. Im vorliegenden Fall konnte der Antragsgegner nicht ausreichend darlegen, dass wirtschaftliche und/oder technische Gründe gegen die Bildung eines Fachloses für die Lärmschutzwandarbeiten sprechen. Bauzeitverzögerungen, welche zu wirtschaftlichen Nachteilen führen, könnten es rechtfertigen, von einer Vergabe nach Fachlosen abzusehen; hierfür kann im Einzelfallauch schon der Wegfall einer Koordinierungsebene ausreichen. Dies müsse jedoch ausreichend begründet werden, damit der Schutz mittelständischer Unternehmen nicht ausgehöhlt werde. Vorliegend sei nicht mal hinreichend substantiiert dargelegt worden, dass wirtschaftliche Vorteile durch das Absehen von der Bildung von Fachlosen zu erwarten seien. Man rechnete sogar damit, dass eine einheitliche Auftragsvergabe zunächst teurer sein werde.

Auf eine extreme Komplexität des Bauvorhabens könne sich die Antragstellerin nicht berufen, da die einheitliche Vergabe an sich das Vorhaben nicht weniger komplex machen würde. Auch für den Fall der "gestörten Baustelle" sei nicht erkennbar, dass die einheitliche Vergabe einen nennenswerten Vorteil bringen würde. Selbst ein Generalunternehmer beschäftige für die jeweiligen Fachgewerke entweder Subunternehmer oder hätte innerhalb eines großen Unternehmens auf bestimmte Arbeiten spezialisierte Bautrupps, welche er koordinieren müsste. Der Vorteil des Wegfalls einer Koordinierungsebene rechtfertige vorliegend nicht den Verzicht auf die Bildung von Fachlosen.

Praxishinweis:

Diese Entscheidung bestätigt erneut, dass öffentliche Auftraggeber besonders vorsichtig bei einheitlichen Vergaben und dem Verzicht auf die Bildung von Fachlosen vorgehen müssen. Im Rahmen der Vergabedokumentation sollten die wirtschaftlichen und technischen Gründe möglichst konkret festgehalten werden. Der übliche Termindruck, der Wegfall der Koordinierungsebene sowie eine gewisse Komplexität des Bauvorhabens reichen oft nicht aus, um auf die Bildung von Fachlosen zu verzichten.