VG Bremen: Baustopp eines Neubaus wegen unzumutbarer Verschattung des Nachbargrundstücks

08.04.2015

Die Antragstellerin ist seit 1989 Eigentümerin eines 135 qm großen, mit einem Altbremer Reihenhaus bebauten Grundstücks B.Straße im Bremer Steintor-Viertel. Das Altbremer Reihenhaus besteht aus Souterrain, Hochparterre, 1. Obergeschoss und Dachgeschoss; es hat eine Firsthöhe von 12,70 m (Oberkante Straße). Insgesamt umfasst die gegenüber dem Vorhabengrundstück auf der nördlichen Straßenseite gelegene Häuserzeile sechs Altbremer Reihenhäuser. Das ihrem Haus gegenüber liegende Grundstück war seit dem Jahr 1942 mit einem 10,40 m (Oberkante Straße) hohen Hochbunker bebaut.

Nach dem Erwerb des Hochbunkers plante die beigeladene Projektgesellschaft den Abriss des Hochbunkers und die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 17 Wohneinheiten und einer Tiefgarage mit 19 Stellplätzen. Hierfür erhielt die beigeladene Projektgesellschaft am 04. Juni 2014 vom Senator für Umwelt, Bau und Verkehr eine Baugenehmigung. Gemäß Baubeschreibung handelt es sich um die Errichtung eines L-förmigen voll unterkellerten, dreigeschossigen Gebäudekomplexes mit einem Staffelgeschoss. Das zurückversetzte Staffelgeschoss weist eine Firsthöhe von 13,03 m auf und überragt damit den früheren Hochbunker damit um 2,63 m. Das 2. Obergeschoss endet bei einer Höhe von 10,12 m (Oberkante Straße). Die Beigeladene hat in der Zwischenzeit den Hochbunker abgerissen und mit dem Bau des Mehrfamilienhauses begonnen.

Mit ihrem Widerspruch gegen die Baugenehmigung und ihrem Eilantrag wendete sich die Antragstellerin insbesondere gegen die durch den Neubau auftretende unzumutbare Verschattung ihres Grundstücks.

Das Gericht hat Beweis erhoben über die örtlichen Verhältnisse durch die Einnahme eines gerichtlichen Augenscheins sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens („Tageslichtuntersuchung“) eines Hamburger Ingenieurbüros. Die Beigeladene hat ihrerseits zwei Privatgutachten zur Verschattung des Hauses der Antragstellerin vorgelegt.

Das Gericht begründet die Stattgabe des Eilantrags damit, dass die durch den Bau des Staffelgeschosses verursachte zusätzliche Verschattung unzumutbar und rücksichtslos sei und damit die Baugenehmigung im Ergebnis aus folgenden Gründen rechtswidrig sei:

Im vorliegenden Einzelfall sei die besondere Lage des Wohnhauses der Antragstellerin zu berücksichtigen, denn es handele sich um ein Reihenhaus mit Nordsüdausrichtung. Vom Norden her falle keine Sonne in die Räume des Wohnhauses; zur Ost- und Westseite gebe es keine Fenster, da sich benachbarte Reihenhäuser direkt anschlössen. Die einzigen signifikanten Lichtquellen stellten daher die Fenster an der Südfassade des Reihenhauses dar. Das Vorhaben der Beigeladenen sei unmittelbar südlich vom Haus der Antragstellerin geplant. Im vorliegenden Fall gehe um die Errichtung eines Mehrfamilienhauses, das aufgrund seiner Ausmaße deutlich näher an die Nachbarbebauung heranrückt und erheblich höher ist als die frühere Bebauung. Mit einer Firsthöhe von 13,03 m (Oberkante Straße) werde das Vorhaben der Beigeladenen um 2,63 m höher sein als der frühere Hochbunker und das Wohnhaus der Antragstellerin erstmals überragen. Zudem rücke das Vorhaben um bis zu 2,50 m näher an die Straße und damit an das Haus der Antragstellerin heran. Sofern die Beigeladene vorträgt, der frühere Bunkerbau sei in dem gegenüber des Hauses der Antragstellerin gelegenen Teilbereich bis direkt an die Grundstücksgrenze gebaut gewesen, übersehe sie, dass es sich hierbei lediglich um einen einstöckigen Bunkereingang gehandelt habe, der sich wegen seiner geringen Höhe nicht auf den damaligen Schattenwurf ausgewirkt habe. Das Vorhaben der Beigeladenen rücke dagegen – wenn auch mit einem zurückversetzten Staffelgeschoss – in Gänze näher an das gegenüberliegende Wohnhaus heran, was sich entsprechend bei der Verschattung auswirke.

Aus der vom gerichtlich bestellten Gutachter erstellten Auflistung der (astronomisch möglichen) Sonnenstunden ergebe sich aus der Messung am Fenster für das 1. Obergeschoss des Wohnhauses der Antragstellerin, in dem deren Wohn- und Essbereich liegt, dass sich die Besonnung dort in den sonnenarmen Wintermonaten, in denen das Sonnenlicht als besonders kostbar empfunden werde, durch das Vorhaben einschließlich Staffelgeschoss um etwa 58% am Fenster und etwa 53 % im Raum vermindert. Eine solche Beeinträchtigung liege nicht mehr im Rahmen dessen, womit ein Grundstückseigentümer - selbst im städtischen Bereich - aufgrund möglicher Veränderungen der Umgebung rechnen müsse. Die zusätzliche Verschattung durch das Staffelgeschoss stelle sich damit als unzumutbar und rücksichtslos dar. Ohne Staffelgeschoss vermindere sich die Besonnung dagegen im 1. Obergeschoss nur um etwa 12% am Fenster bzw. 9 % im Raum. Hierbei vermindere sich die Besonnung der Raummitte im Dezember um rund ein Drittel und im Januar um etwa 9 %, während sich die übrigen Zeiträume unverändert darstellen. Zwar handele es sich damit im Dezember um eine deutliche Einbuße an Besonnung, jedoch betreffe dies nur einen Monat im Winterhalbjahr, so dass die Kammer hierin bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine unzumutbare Verschattung zu sehen vermöge.

Die aufschiebende Wirkung sei insgesamt gegen die Baugenehmigung anzuordnen, denn das Vorhaben bedürfe bei planungsrechtlicher Unzulässigkeit des Staffelgeschosses insgesamt einer neuen Planung. Bei dem Staffelgeschoss handele es sich gegenüber dem übrigen Baukörper nicht um einen ohne weiteres bautechnisch abtrennbaren Teil des Bauvorhabens, dies zeige bereits die Verbindung der einzelnen Geschosse über die gemeinsamen, höhenversetzten Eingangsbereiche. Handele es sich damit nicht um einen eigenständigen, komme eine Teilbarkeit der Baugenehmigung nicht in Betracht.