BVerwG: Keine Einschränkung der Ermächtigung zum Erlass einer Sperrgebietsverordnung infolge des Prostitutionsgesetzes

16.01.2015

Nach Art. 297 EGStGB kann zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes für Teile des Gebiets einer Gemeinde durch Rechtsverordnung verboten werden, der Prostitution nachzugehen. Gestützt hierauf erließ der dafür zuständige Regierungspräsident Darmstadts im Jahre 1986 die Verordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstands in Frankfurt am Main (Sperrgebietsverordnung). Sie untersagt in einem näher umschriebenen Teil des Stadtgebiets jede Form der Prostitutionsausübung und lässt sie in anderen ebenfalls näher umschriebenen Teilen zu. Im übrigen Stadtgebiet ist es verboten, auf öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen, in öffentlichen Anlagen und an sonstigen Orten, die von dort eingesehen werden können, sowie in Prostituiertenwohnheimen, Prostituiertenunterkünften und ähnlichen Einrichtungen (u. a. in sogenannten Massagesalons und sonstigen überwiegend von Prostituierten genutzten Häusern) der Prostitution nachzugehen.

Der Kläger vermietete das Hinterhaus auf einem ihm gehörenden Hausgrundstück zum Betrieb eines sogenannten Massagestudios, in dem Prostituierte ihre Dienstleistungen anbieten. Das Grundstück liegt in dem Teil der Stadt Frankfurt am Main, in dem nach der Sperrgebietsverordnung die Prostitution in Prostituiertenwohnheimen, Prostituiertenunterkünften und ähnlichen Einrichtungen verboten ist. Die beklagte Stadt Frankfurt am Main untersagte dem Kläger durch die angefochtene Verfügung, seine Liegenschaft zur Ausübung der Prostitution zur Verfügung zu stellen, und stützte sich hierfür auf einen Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main wies die hiergegen erhobene Klage des Klägers ab. Der Verwaltungsgerichtshof Kassel hob auf die Berufung des Klägers die Untersagungsverfügung auf: Die weitgehende Legalisierung der Prostitution durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz und der darin manifestierte Wandel der gesellschaftlichen Akzeptanz der Prostitution verböten es, bei der Anwendung der Ermächtigungsgrundlage des Art. 297 EGStGB die Ausübung der Prostitution außerhalb ausgewiesener Toleranzzonen als Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung einzustufen, ohne die aus ihrer Ausübung resultierende schädliche Auswirkungen auf die Nachbarschaft, insbesondere auf dort lebende Jugendliche und Kinder konkret zu bewerten.

Auf die Revision der beklagten Stadt hat das Bundesverwaltungsgericht die Abweisung der Klage durch das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. Die Legalisierung der Prostitutionsausübung nach Maßgabe des Prostitutionsgesetzes aus dem Jahr 2001 schließt es nicht aus, durch den Erlass von Sperrgebietsverordnungen eine lokale Steuerung der Prostitutionsausübung aus ordnungsrechtlichen Gründen zu bewirken. Der Jugendschutz sowie die Wahrung des öffentlichen Anstandes sind legitime Gemeinwohlziele. Auch unterhalb der polizeirechtlichen Gefahrenschwelle dürfen die betreffenden Schutzgüter vor erheblichen Beeinträchtigungen bewahrt werden. Der Schutz des öffentlichen Anstands erfordert dabei, dass die Eigenart betroffener Gebiete durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z.B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen, gekennzeichnet ist, und dass daher eine nach außen in Erscheinung tretende Ausübung der Prostitution typischerweise damit verbundene Belästigungen und milieubedingte Unruhe, wie z.B. das Werben von Freiern und anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnerinnen, befürchten lassen muss. Für den Erlass einer Verordnung genügt die Prognose, dass das verbotene Verhalten in hinreichender Weise die abstrakte Möglichkeit einer solchen Beeinträchtigung begründet. Dass die Prostitutionsausübung die abstrakte Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Jugendschutzes oder des öffentlichen Anstandes begründet, sofern sie im räumlichen Bezugsfeld von Gebieten stattfindet, die aufgrund ihrer Eigenart durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität gekennzeichnet sind, steht außer Frage. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs befinden sich in dem in Rede stehenden Gebiet jedenfalls Kindertagesstätten und eine Schule sowie Wohnanlagen. Das Gebiet ist schon deswegen durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität gekennzeichnet.