BGH: Bauaufsichtsbehörde muss bei rechtswidrig verweigertem Einvernehmen (Widerspruch des Vorhabens zu den Festsetzungen eines unwirksamen Bebauungsplans) das Einvernehmen ersetzen; Gemeinde haft

27.12.2012

Die Klägerin nahm die beklagte Gemeinde aus Amtshaftung in Anspruch wegen der Verweigerung des Einvernehmens gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Die Klägerin ist Eigentümerin der im Gemeindebereich der Beklagten gelegenen Grundstücke Flur-Nr. 102 und 102/1. Am 30. März 2006 und am 15. Mai 2006 beantragte die Klägerin die Erteilung von Vorbescheiden für den Neubau von insgesamt sechs Mehrfamilienhäusern und zwei Einfamilienhäusern auf den streitgegenständlichen Grundstücken. Für den Bereich dieser Grundstücke bestand seinerzeit der am 6. Juni 2000 bekannt gemachte "einfache Bebauungsplan K. zur Steuerung des Maßes der Nutzung bei Wohngebäuden oder bei Umnutzung vorhandener Bausubstanz zu Wohnzwecken im unbeplanten Ortsbereich". Die Bauvorhaben der Klägerin widersprachen den Festsetzungen dieses Bebauungsplans. Am 12. April 2006 und 29. Mai 2006 verweigerte die Beklagte ihr Einvernehmen zu den Anträgen der Klägerin. Das Landratsamt N. lehnte mit Bescheiden vom 24. Mai 2006 und 22. August 2006 die Bauvorbescheidungsanträge der Klägerin ab. Zur Begründung verwies das Landratsamt jeweils auf die Festsetzungen des Bebauungsplans sowie darauf, dass die Beklagte das gemeindliche Einvernehmen verweigert habe. Nachfolgend stellte sich im Rahmen eines Verwaltungsstreitverfahrens heraus, dass der dem Bauvorhaben entgegenstehender Bebauungsplan unwirksam war. Nachdem zwischenzeitlich nach Erlass einer Veränderungssperre ein qualifizierter Bebauungsplan beschlossen wurde, der eine Bebauung der Grundstücke der Klägerin nicht zuließ, machte diese gegenüber der Gemeinde einen Amtshaftungsanspruch mit einer Schadenshöhe von über 800.000 € geltend.

Die Klage auf Schadensersatz hatte weder in erster noch in zweiter Instanz Erfolg. Die zum Bundesgerichtshof erhobene Revision blieb ebenfalls erfolglos.

Anknüpfend an seine jüngere Rechtsprechung führt der Bundesgerichtshof aus, dass im vorliegenden Fall die Besonderheit bestünde, dass nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB i.V.m. Art. 74 Abs. 1 BayBO a.F. das rechtswidrig versagte, aber erforderliche Einvernehmen durch die Baugenehmigungsbehörde, die nicht zugleich die Gemeinde ist, ersetzt werden konnte. Soweit aber der Baugenehmigungsbehörde die Befugnis eingeräumt werde, das versagte gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen, werde ihre Prüfungs- und Entscheidungskompetenz erweitert. Sie umfasse nicht nur die Frage, ob ein gemeindliches Einvernehmen erforderlich sei, sondern auch, ob die Verweigerung der Gemeinde rechtswidrig sei. Die Bindungswirkung der negativen Entscheidung der Gemeinde für die Baugenehmigungsbehörde sei aufgehoben. Die Behörde sei mithin nicht mehr unter Umständen gezwungen, den Antrag auf Genehmigung eines an sich genehmigungsfähigen Bauvorhabens sehenden Auges allein wegen dessen rechtswidrig verweigerten Einvernehmens abzulehnen. Der maßgebliche Grund für die Annahme einer drittgerichteten Amtspflicht seitens der Gemeinde bei der Entscheidung über die Erteilung des Einvernehmens und damit ihrer haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit gegenüber dem Bauherrn - die Bindungswirkung ihrer Versagung für die Baugenehmigungsbehörde, obschon es sich bei dem gemeindlichen Einvernehmen um ein Verwaltungsinternum handelt - sei mit der Einführung der Ersetzungsbefugnis des verweigerten gemeindlichen Einvernehmens durch die Bauaufsichtsbehörde entfallen (BGH, Urteil vom 16. September 2010 - III ZR 29/10, BGHZ 187, 51 Rn. 10 ff). Alleiniger Prüfungsmaßstab für das gemeindliche Einvernehmen und seine Ersetzung sei, ob das Vorhaben nach den planungsrechtlichen Vorschriften der §§ 31, 33,34 und 35 BauGB zulässig ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 1992 - III ZR 158/90, BGHZ 118, 253, 257). Vorliegend habe die Beklagte die Verweigerung des Einvernehmens darauf gestützt, dass die geplanten Bauvorhaben den Festsetzungen im einfachen Bebauungsplan widersprachen. Da dieser jedoch, wie aufgrund der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs bindend feststehe, in den für die Beurteilung der Vorhaben bedeutsamen Punkten unwirksam war, war auch die Verweigerung des Einvernehmens rechtswidrig. Demgemäß bestand für das Landratsamt gemäß Art. 74 Abs. 1 BayBO a.F. das Recht und die Pflicht, das gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen.

Allerdings dürfe in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben, dass nach der Rechtsprechung des BGH - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - der Baugenehmigungsbehörde grundsätzlich keine Kompetenz zur Verwerfung eines von ihr als unwirksam erkannten Bebauungsplans zustehe (vgl. Urteil vom 25. März 2004 - III ZR 227/02, NVwZ 2004, 1143, 1144; Beschluss vom 20. Dezember 1990 - III ZR 179/89, BGHR BGB § 839 Abs. 1 Baugenehmigung 1; Urteil vom 10. April 1986 - III ZR 209/84, NVwZ 1987, 168, 169; ebenso wohl, wenn auch einschränkend BVerwGE 112, 373, 381 f; a. A. OVG Lüneburg NVwZ 2000, 1061, 1062).

Damit stehe jedoch nicht fest, dass die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen der Prüfung der Erteilung der beantragten Baugenehmigung und - damit in Zusammenhang stehend - der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens einen von ihr für unwirksam gehaltenen Plan zugrunde zu legen oder eine auf diesen Plan gestützte Verweigerung des Einvernehmens zu beachten habe. Vielmehr würden die Bediensteten der Baugenehmigungsbehörde amtspflichtwidrig handeln, wenn sie einen unwirksamen Bebauungsplan anwenden (BGH, Urteil vom 10. April 1986 aaO). Hinsichtlich der Unwirksamkeit des Bebauungsplans komme der Bauaufsichtsbehörde eine Prüfungskompetenz zu (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 2004 aaO). Erkenne die Baugenehmigungsbehörde die Unwirksamkeit, habe sie die Gemeinde und die Kommunalaufsicht von ihren Bedenken zu unterrichten. Die Gemeinde habe den Bebauungsplan aufzuheben, soweit sie sich nicht dafür entscheide, - soweit möglich - die die Nichtigkeit begründenden behebbaren Fehler zu beseitigen (vgl. BVerwGE 75, 142, 145). Sollte sich die Gemeinde der Rechtsauffassung der Baugenehmigungsbehörde nicht anschließen, könne die Kommunalaufsicht die gesetzwidrigen Satzungsbeschlüsse der Gemeinde beanstanden und deren Aufhebung innerhalb angemessener Frist verlangen (vgl. BVerwG NVwZ 1993, 1197). Soweit die Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO noch nicht abgelaufen ist, komme auch ein eigener Normenkontrollantrag der Baugenehmigungsbehörde gegen den von ihr als unwirksam erkannten Bebauungsplan in Betracht (vgl. BVerwG, NVwZ 1989, 654 f; 1990, 57 f).

Auf diesen genannten Wegen könne – so der BGH - die Baugenehmigungsbehörde deshalb die Beseitigung des Bebauungsplans erreichen und so die Voraussetzungen sowohl für die Erteilung der Baugenehmigung als auch - sofern dann noch erforderlich - für die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens schaffen. Damit sei das hier für die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens zuständige Landratsamt auch ohne eine eigene Verwerfungskompetenz nicht gehindert gewesen, das gemeindliche Einvernehmen nach Durchführung entsprechender vorbereitender Verfahrensschritte zu ersetzen. Deshalb habe die Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens durch die Beklagte keine - in Anlehnung an die frühere Gesetzeslage eine Amtshaftung der Gemeinde rechtfertigende - Bindungswirkung für das Landratsamt gehabt, das zunächst die Amtspflicht hatte, für eine Aufhebung des Bebauungsplans zu sorgen, um dann anschließend das gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen und die beantragte Genehmigung zu erteilen. Mangels entsprechender Bindungswirkung stelle sich die Verweigerung des Einvernehmens durch die Beklagte mithin auch bei der vorliegenden Konstellation als reines Verwaltungsinternum mit der Folge dar, dass sie mit dieser Maßnahme keine ihr gegenüber der Klägerin obliegende drittgerichtete Amtspflicht verletzt habe. Die Gemeinde haftet auch nicht neben der Baugenehmigungsbehörde (vgl. Urteil vom 16. September 2010, aaO Rn. 14). Es bleibe vielmehr bei der Alleinhaftung der Baugenehmigungsbehörde.