Bemusterung schlägt Leistungsverzeichnis!

21.08.2012

 

Zu: OLG Bremen, Urteil vom 16.03.2012 - 2 U 94/09

 

Ein Fassadenbauer (Auftraggeber) beauftragte einen Hersteller von Sonnenschutz (Auftragnehmer) mit der Lieferung und Montage einer Sonnenschutzanlage mit Tageslichtnutzung. Nach dem Leistungsverzeichnis war ein System zur "Tageslichtoptimierung", das heißt ein System zur Nutzung des Tageslichts bei bestehendem Blendschutz mit getrennt gesteuerten Öffnungswinkeln der oberen und unteren Lamellenbereiche, vorgesehen. Der Auftraggeber bemängelte nach Fertigstellung der Arbeiten, dass bei der Abfahrt des Sonnenschutzes die Behänge entgegen dem Leistungsverzeichnis nicht mit getrennt gesteuerten Öffnungswinkeln der oberen und unteren Lamellenbereiche abführen. Der Auftragnehmer meinte, dass sich aus dem Leistungsverzeichnis ergebe, dass letztendlich die Bemusterung und nicht das Leistungsverzeichnis endscheidend wäre. Im Leistungsverzeichnis heißt es: "Die Sonnenschutzbehänge werden mit der Funktion Tageslichtlenkung im oberen Bereich ausgestattet (ab ca. 2,10 von FFB entsprechend Bemusterung). Beschreibung des Bewegungsablaufs der Lamellenraffstores mit Tageslichtoptimierung: 1. Abfahrt. Der Behang fährt abwärts, wobei die obersten Lamellen in geöffneter ... Stellung stehen. Die unteren Lamellen fahren bereits in einer Abschirmstellung ... nach unten." Bei der Bemusterung war erkennbar, dass die oberen Lamellen nicht in geöffneter Stellung während der Abfahrt standen. Der Auftraggeber verweigerte die Zahlung.

 

Nach Ansicht des OLG liegt kein Mangel vor. Zwar sei im Leistungsverzeichnis die gewünschte Funktionsweise des Lamellenbehangs bei der Abfahrt explizit beschrieben. Obwohl der vom Auftragnehmer montierte Sonnenschutz diesen Vorgaben unstreitig nicht entsprach, sei das Gewerk mängelfrei. Denn es widerspreche nicht der Beschaffenheit, wie die Parteien sie schließlich vereinbart haben. Aus dem Leistungsverzeichnis ergebe sich, dass die vereinbarte Werkbeschaffenheit letztendlich durch die Bemusterung festgestellt werden sollte. "(Ab ca. ... entsprechend Bemusterung)". Hieraus folge, dass die vom Auftragnehmer vorgenommene Bemusterung die Vorgaben des Leistungsverzeichnis erst konkretisieren sollte. Da bei der Bemusterung auch die Anlagen unstreitig auf- und abgefahren wurden, ließ es den Einwand des Auftraggeber, dass man nur geprüft habe, ob nach Herabfahren die Tageslichteinstellung funktioniere, während man die Funktion während der Abfahrt nicht geprüft habe, nicht gelten. Da dies ein einheitlicher Vorgang sei, habe die Wahrnehmung des Auftraggebers sowohl die Funktion des Herabfahrens als auch den Ruhezustand zwingend umfasst. Somit habe er auch die Abweichung feststellen können. Der Auftragnehmer habe daher nach §§ 133, 157 BGB von der erfolgten Genehmigung durch den Auftraggeber ausgehen können. Auch könne der Auftraggeber sich nicht darauf berufen, dass die erbrachte Leistung so wesentlich von der im Leistungsverzeichnis vorgesehenen Vereinbarung abweiche, dass der Auftragnehmer nach Treu und Glauben (BGB § 242) nicht damit rechnen könne, dass der Auftraggeber sich auf die Abweichung von der vertraglich vereinbarten Funktion einlassen werde. Wenn der Auftraggeber im Rahmen der Bemusterung diese Abweichung trotz der Erkennbarkeit unbeanstandet lasse, könne der Auftragnehmer damit rechnen, dass die nicht erhebliche Abweichung hingenommen wurde.

 

Entgegen den Entscheidungen des OLG Frankfurt und des OLG Braunschweig kann die Bemusterung dem Leistungsverzeichnis im Einzelfall vorgehen. Das gilt allerdings nicht, wenn - für den Auftraggeber nicht erkennbar - das Muster dem vorgesehenen Zweck nicht entspricht oder die Ausführung technisch nicht in Ordnung ist.