Stadt Frankfurt muss Behauptungen über Braunkohlestaubkraftwerk widerrufen

01.01.2012

Stadt Frankfurt muss Behauptungen über Braunkohlestaubkraftwerk widerrufen

Zu: VG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.07.2011 - 8 L 1521/11.F(V)

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main stellte fest, dass die Stadt Frankfurt nicht dazu berechtigt war, sich unter dem Aspekt des Umwelt- und Klimaschutzes in einer Pressemitteilung negativ zu einer in der Gemarkung Frankfurt am Main Fechenheim gelegenen Braunkohlestaubfeuerungsanlage zu äußern. Insbesondere ergebe sich kein Befugnis daraus aus ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung, Art. 28 II GG. Das Gericht verpflichtete die Stadt mit Urteil vom 21.07.2011, die Behauptungen zu widerrufen.

Am 18.04.2011 erhielt die Antragstellerin nach § 4 BImschG die Genehmigung, in der Gemarkung Fechenheim eine Braunkohlestaubfeuerungsanlage zu errichten und zu betreiben, welche als Stromquelle dienen soll. Das Betriebsgelände ist im Bebauungsplan der Antragsgegnerin als Industriegebiet ausgewiesen. Auf Antrag der Antragstellerin ordnete das Regierungspräsidium Darmstadt am 26.04.2011 die sofortige Vollziehung der Genehmigung an. Am 30.03. 2011 übermittelte die Stadträtin der Antragsgegnerin für Umwelt, Gesundheit und Personal per E-Mail an einen ausgewählten Verteiler von Presse- Rundfunk- und Fernsehvertretern ihre in ihrer Funktion als Umweltdezernentin abgegebene Pressemitteilung vom 30.03.2011. Mit anwaltlichem Schreiben vom 12.04.2011 forderte die Antragstellerin von der Antragsgegnerin und deren Umweltdezernentin den Widerruf der Aussagen in der vorgenannten Pressemitteilung. Nachdem ein solcher nicht erfolgte, hat die Antragstellerin um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht und die Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt, die in der Pressemitteilung behaupteten Tatsachen zu widerrufen. Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten.

Konkret ging es um die Behauptungen, das von der Anlage emittierte Quecksilber könne eingeatmet werden, die Böden belasten und mit dem Regen in den Main gelangen. Auch wurde behauptet, beim Betrieb der Feuerungsanlage würden zwei Millionen Milligramm Quecksilber anfallen, es werde gezielt und durch Tricks versucht, den Emissionshandel zu umgehen und die Genehmigung der Feuerungsanlage sei ohne jede Umweltprüfung auf Zuruf erfolgt. Zudem sei Braunkohlestaub der klimaschädlichste und schmutzigste Energielieferant.
Das VG Frankfurt am Main hat der Antragsgegnerin aufgegeben, ihre in der Pressemitteilung vom 30.03.2011 behaupteten Tatsachen per E-Mail an den Verteiler von Presse-, Rundfunk- und Fernsehvertretern, an den diese Pressemitteilung erfolgte, zu widerrufen.

Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund seien seitens der Antragstellerin glaubhaft gemacht worden. Für die Pressemitteilung fehle es an einer Ermächtigungsgrundlage. Deshalb erweise sie sich als rechtswidrig. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin folge eine solche nicht aus dem Recht der Antragsgegnerin auf kommunale Selbstverwaltung. Denn diese Befugnis für Gemeinden zur Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung bestehe nur «im Rahmen der Gesetze». Dass für das Vorhaben der Antragstellerin erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren sei aber den Gemeinden vollständig und somit auch der Antragsgegnerin entzogen. Denn hierfür sei ausschließlich das staatliche Regierungspräsidium Darmstadt zuständig.
Auch der Schutz von Leben und Gesundheit der Gemeindeeinwohner durch die Einhaltung einer intakten Umwelt sei nicht vom Selbstverwaltungsrecht nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst. Gemeinden und damit auch der Antragsgegnerin stehe nicht das Recht zu, die Rechte ihrer Bürger als «Sachwalter des öffentlichen Interesses» wahrzunehmen. Die vom Selbstverwaltungsrecht des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG erfasste Befugnis der Antragsgegnerin, bauplanerische Regelungen für ihr Gemeindegebiet mittels Bebauungsplan zu treffen, sei ebenfalls nicht beeinträchtigt. Für das Baugrundstück habe die Antragsgegnerin in ihrem einschlägigen Bebauungsplan die Einteilung Industriegebiet festgesetzt und danach seien dort grundsätzlich auch Braunkohlestaubkraftwerke bauplanungsrechtlich zulässig. Überdies habe die Antragsgegnerin durch ihr Stadtplanungsamt ihr gemeindliches Einvernehmen zu dem Braunkohlestaubkraftwerksvorhaben erteilt.

Eine Ermächtigungsgrundlage folge auch nicht aus der durch Art. 5 GG geschützten Meinungsäußerungsfreiheit. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und staatliche Organe könnten sich nicht auf die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2, 1. Alt GG berufen, denn sie seien keine Grundrechtsträger. Sie dürften ihre Meinung nur im Rahmen der für sie geltenden Kompetenznormen äußern. Auch § 66 Abs. 2 Hessische Gemeindeordnung sei keine solche Kompetenznorm. Danach habe der Gemeindevorstand die Bürger in geeigneter Weise, insbesondere durch öffentliche Rechenschaftsberichte, über wichtige Fragen der Gemeindeverwaltung zu unterrichten und das Interesse der Bürger an der Selbstverwaltung zu pflegen. Hier werde aber bereits nicht über eine wichtige Frage der Gemeindeverwaltung unterrichtet, sondern es würden Ausführungen zu dem Vorhaben der Antragstellerin gemacht.

Schließlich könne zugunsten der Antragsgegnerin auch nicht auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden, wonach die Befugnis zu mittelbaren Grundrechtseingriffen durch Hinweise, Warnungen oder Empfehlungen in einzelnen Fällen unmittelbar aus dem Grundgesetz hergeleitet werde und dabei auf den Rechtsgedanken einer staatlichen Schutzpflicht abgestellt werde. Diese Befugnis werde nur dem Verfassungsorgan Bundesregierung zugestanden. Nach alledem erweise sich die Pressemitteilung der Umweltdezernentin der Antragsgegnerin mangels einer Ermächtigungsgrundlage als rechtswidrig. Zudem enthalte die Pressemitteilung die in dem Eilantrag aufgeführten falschen Tatsachenbehauptungen. Auch dies führe zur Rechtswidrigkeit.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Quelle: Beck-Online Newsletter vom 25.07.2011