Primärrechtsschutz im Unterschwellenbereich

01.01.2012

Primärrechtsschutz im Unterschwellenbereich

Zu: OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2010 - I-27 U 1/09

In einem Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich bestehen Unterlassungsansprüche des Unterlegenen Bieters gegen den Auftraggeber grundsätzlich dann, wenn der Auftraggeber gegen Regeln verstößt, welche er bei der Auftragsvergabe einzuhalten versprochen hat, und dies zu einer Beeinträchtigung der Chancen des Bieters führen kann. Dabei kommt es auf eine willkürliche Abweichung des Auftraggebers nicht an. Der Betroffene könne ferner Unterlassungsansprüche grundsätzlich auch im Wege des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durchsetzen, ohne dass der Antragsteller tatsächlich eine Chance auf den Zuschlag hat. Allerdings könne im Rahmen der gebotenen Abwägung der Verfügungsgrund fehlen, wenn wahrscheinlich ist, dass der Antragsteller den Zuschlag letztlich erhalten kann.

In seinem Urteil vom 13.01.2010 nahm das OLG Düsseldorf zu der Frage des Primärrechtschutzes im Unterschwellenbereich Stellung. In dem Urteil zu Grunde liegenden Fall ging es um die einstweilige Verfügung eines Unterlegenen Bieters gegen den Zuschlag im Rahmen der beschränkten Ausschreibung einer Bauleistung bei welcher der Auftragswert unterhalb des maßgebenden Schwellenwertes lag.

Zur umstrittenen Frage des Rechtschutzes im Unterschwellenbereich steht derzeit fest, dass nach gegenwärtiger Gesetzeslage eine Anrufung der Vergabekammern nicht in Betracht kommt. Fraglich ist daher, welche weiteren Rechtsschutzmöglichkeiten neben einem Anspruch auf Schadensersatz innerhalb des Privatrechts bestehen.

Neben der Ansicht, dass sich der Bieter lediglich auf eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes berufen kann, vertritt das OLG Düsseldorf die Auffassung, dass sich auch aus den §§ 241 Abs. 2,311 Abs. 2 BGB Unterlassungsansprüche des Bieters gegen den Auftraggeber ergeben können.

Dies begründet das Gericht damit, dass durch eine Ausschreibung, in welcher der Auftraggeber die Einhaltung bestimmter Regeln bei der Auftragsvergabe, insbesondere der VOB/A und der VOL/A, verspricht, ein schuldrechtliches (vorvertragliches) Verhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem interessierten Unternehmen mit diesen Regeln zustande kommt. Im Hinblick auf die Transparenz des Vergabeverfahrens und die Chancengleichheit der Bieter aber der unterlegene Bieter ein Interesse an der Einhaltung der dort geregelten Pflichten.

Das OLG Düsseldorf erkennt, dass der auf die Unterlassung einer Zuschlagsentscheidung gerichtete einstweilige Rechtsschutz nach §§ 935 ff. ZPO gewisse Verfahrensprobleme mit sich bringt, welche den Besonderheiten des Vergaberecht nicht gerecht wird. Jedoch ist der Ansicht, dass dies nicht per se zur Ungeeignetheit des Verfahrens führe.

Auch der verhältnismäßig hohe Verwaltungsaufwand sowie die Gefahr der Verzögerung einer Zuschlagserteilung rechtfertige nicht den Ausschluss von Primäransprüchen. Sofern das Interesse des Auftraggebers an einer zügigen Fortführung der geplanten Maßnahme den Vorzug vor den Belangen des unterlegenen Bieters habe, könne dies vielmehr bei der Prüfung des Verfügungsgrundes berücksichtigt werden.

Auch aus europäischer Sicht sei ein Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwertes geboten. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind bei der Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber auf der Grundlage der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG der Gleichbehandlungsgrundsatz, das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und das Transparenzgebot zu wahren.

Anmerkung: in Österreich besteht bereits seit längerer Zeit ein Rechtsschutz im Rahmen von Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte. Dort kam es jedoch nicht zu einer Flut von Nachprüfungsverfahren. Befürchtungen, dass durch die Öffnung eines Rechtschutzes im Unterschwellenbereich Vergabeverfahren unzumutbar verzögert würden, ist entgegenzuhalten, dass anders als in einem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer dem Bieter hier das Recht zur Akteneinsicht nach § 111 GWB verwehrt und diese folglich gehindert ist, das gesamte Vergabeverfahren auf den Prüfstand zu stellen. Des weiteren gilt der Beibringungsgrundsatz, wonach der Bieter von sich aus Vergaberechtsverstöße glaubhaft machen muss.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht