Vergaberechtswidrige Verträge genießen nach europäischem Recht keinen Bestandsschutz

01.01.2012

Vergaberechtswidrige Verträge genießen nach europäischem Recht keinen Bestandsschutz

Nach dem Schlussantrag der Generalanwältin des Europäischen Gerichtshof Verica Trstenjak vom 28.03.2007 genießen vergaberechtswidrige Verträge nach europäischem Recht unter keinem Gesichtspunkt Bestandsschutz. Auch die nationale Regelung "pacta sunt servanda" (Verträge sind einzuhalten) findet auf europarechtlicher Ebene keine Anwendung.

Vorliegend haben die Gemeinde Bockhorn und die Stadt Braunschweig ohne ausreichende Beachtung des Vergaberechts langjährig laufende Verträge über die Ableitung von Abwässern und die thermische Behandlung von Restabfall abgeschlossen. In beiden Fällen kam es daraufhin zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, bei dem der europäische Gerichtshof am 10.04.2003 (Az.: Rs C- 20/01 und C- 28/01) feststellte, dass es zu einer Verletzung des europäischen Vergaberechts gekommen ist. In folge dessen forderte die EU- Kommission die Bundesrepublik Deutschland auf, Maßnahmen zur Beendigung der Verträge zu ergreifen. Dieses wurde von Seiten der Bundesrepublik unter Berufung auf den nationalen Grundsatz "pacta sunt servanda" abgelehnt. Was wiederum zu einer Klageerhebung der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof führte, mit dem Inhalt, festzustellen, dass die Bundesrepublik gegen ihre Verpflichtung aus Art. 228 Abs. 1 EG Vertrag verstoßen hat, indem sie es abgelehnt hat die geforderten Maßnahmen zu ergreifen. Ein weiteres Ziel der Klage war der Bundesrepublik Deutschland ein tägliches Zwangsgeld in Höhe von insgesamt 158400 Euro aufzuerlegen. Die BRD beantragte im Jahre 2005 die Einstellung des Verfahrens, da die Verträge zwischenzeitlich aufgehoben worden sind. Die EU- Kommission hält jedoch an der Klage mit einem Feststellungsauftrag fest.

Die zentrale Frage dieses Rechtstreits ist, ob beziehungsweise in wie weit vergaberechtswidrige Verträge Bestandsschutz unter dem Gesichtspunkt "pacta sunt servanda" genießen. Diese Frage wird von Generalanwältin Trstenjak verneint, mit der Begründung, dass sich die BRD nicht darauf berufen könne, dass das öffentliche Auftragswesen nach ihrer Rechtsordnung anders als in anderen Mitgliedstaaten zivilrechtliche Grundzüge aufweist und somit der öffentliche Auftraggeber als mit dem Auftragnehmer gleichgestellter Partner an einen privatrechtlichen Vertrag gebunden ist. Hier bedarf es vielmehr dem Gedanken des effet utile, nachdem derjenigen Auslegung den Vorzug eingeräumt wird, die die Verwirklichung der europäischen Vertragsziele am meisten fördert. Dies erfordert eine weitestgehende praktische Wirksamkeit der Vergaberichtlinien und führt ebenfalls zu einer Pflicht zur Beendigung vergaberechtswidriger Verträge. Aufgrund der Bedeutung der Vergaberichtlinien für die Dienstleistungs- bzw. Warenverkehrsfreiheit erschöpft sich eine Verletzung dieser Richtlinie nicht nur mit Vertragsschluss, sondern dauert so lange an, bis der Vertrag vollständig erfüllt ist oder in sonstiger Weise endet. Um die sorgfältige Befolgung der Vergaberichtlinie im Sinne einer effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, ist eine Aufhebungspflicht allein schon unter dem Gesichtspunkt der Abschreckung zwingend erforderlich.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Jochen Zweschper, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht