Erste Entscheidung eines OVG zu § 34 Abs. 3 BauGB

01.01.2012

Erste Entscheidung eines OVG zu § 34 Abs. 3 BauGB

Der 7. Senat des Oberverwaltungsgericht Nordrhein- Westfalen (OVG) hat am 11.12.2006 als erstes deutsches OVG eine Entscheidung zu § 34 Abs. 3 BauGB getroffen (Az.: 7 A 964/05).

Zugrunde liegt diesem Urteil eine Verpflichtungsklage, mit der der Kläger die Verurteilung der Bauaufsichtsbehörde zur Erteilung eine Baugenehmigung für einen Unterhaltungselektronik- Fachmarkt mit ca. 2.250 m² Verkaufsfläche begehrt hat. Im Hinblick auf entgegenstehende Festsetzungen eines Bebauungsplans wurde der Bauantrag von der Bauaufsichtsbehörde abgelehnt. Das Verwaltungsgericht Arnsberg hatte zwar in der erstinstanzlichen Entscheidung (4 K 572/04) den zugrunde liegenden Bebauungsplan für unwirksam erklärt, jedoch die Verpflichtungsklage wegen Verstoßes des zur Genehmigung gestellten Vorhabens gegen § 34 Abs. 3 BauGB abgewiesen. Auf Berufung des Klägers hat nunmehr das OVG die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in diesem Punkt bestätigt. Da bislang keine obergerichtliche oder höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 34 Abs. 3 BauGB vorliegt kommt der Entscheidung besondere Bedeutung zu. Auch aus diesem Grund hat des OVG die Revision zum BVerwG zugelassen.

In der Entscheidung setzte sich das OVG zunächst eingehend mit dem Begriff des ?zentralen Versorgungsbereich? auseinander. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass die Frage, ob ein zentraler Versorgungsbereich vorliegt, eine Rechtsfrage ist und nicht etwa eine Tatsachenfrage, die mittels eines Sachverständigengutachten geklärt werden könne.

So ergab sich folgende Definition des OVG:
?Zentrale Versorgungsbereiche sind räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde, denen aufgrund vorhandener Einzelhandelsnutzungen ? häufig ergänzt durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote ? eine bestimmte Versorgungsfunktion für die Gemeinde zukommt. Ein ?Versorgungsbereich? setzt mithin vorhandene Nutzungen voraus, die für die Versorgung der Einwohner der Gemeinde ? ggf. auch nur eines Teils des Gemeindegebietes ? insbesondere mit Waren aller Art von Bedeutung sind.?

Das OVG hat die Frage, ob ein im Rahmen des § 34 Abs. 3 BauGB beachtlicher Versorgungsbereich nur dann zu bejahen ist, wenn ihm aufgrund tatsächlich vorhandener Einzelhandelsbetriebe eine bestimmte Versorgungsfunktion zukommt oder ob ein solcher Versorgungsbereich auch schon dann vorliegt, wenn in dem betroffenen Bereich jedenfalls nach den planerischen Zielvorstellungen der Gemeinde solche Einzelhandelsnutzungen angesiedelt werden sollen, ausdrücklich offen gelassen.

Jedoch wurde klargestellt, dass Versorgungsbereiche nicht nur dann ?zentral? sind, wenn sie nach Lage, Art und Zweckbestimmung der gemeindeweiten bzw. übergemeindlichen Versorgung dienen. Auch Bereiche für die Grund- oder Nahversorgung könnten zentrale Versorgungsbereiche im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB sein. Demgemäß könnten sowohl Innenstadtzentren, als auch Nebenzentren sowie Grund- und Nahversorgungszentren als zentrale Versorgungsbereiche angesehen werden.

Allerdings hat das OVG auch darauf hingewiesen, dass eine bloße Agglomeration von Einzelhandelsnutzungen in einem räumlich abgrenzbaren Bereich diesen allein noch nicht zu einem ?zentralen? Versorgungsbereich macht.

Des Weiteren hat sich das OVG in seiner Entscheidung ausführlich mit dem Begriff der ?schädlichen Auswirkungen? auseinadergesetzt. Dabei hat das OVG betont, dass es auch diesbezüglich nicht um die Ermittlung von Tatsachen geht, sondern um eine vom Gericht vorzunehmende rechtliche Bewertung.

Eine schädliche Auswirkung für einen zentralen Versorgungsbereich sieht das OVG dann als gegeben an, wenn die Zulassung des Vorhabens beachtliche Funktionsstörungen in bestimmten zentralen Versorgungsbereichen erwarten lässt. Dies soll jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn das Vorhaben außerhalb eines zentralen Versorgungsbereichs angesiedelt werden soll oder das Vorhaben nach seiner konkreten Lage und Ausgestaltung erwarten lässt, dass die Funktionsfähigkeit des betroffenen zentralen Versorgungsbereichs insbesondere durch zu erwartende Kaufkraftabflüsse in beachtlichem Ausmaß beeinträchtigt und damit gestört wird. Aber auch wenn das Warenangebot des Vorhabens gerade solche Sortimente umfasst, die zu den für die gegebene Versorgungsfunktion des betreffenden zentralen Versorgungsbereichs typischen Sortimenten gehört.


Sodann vertritt das OVG abweichend von der bisherigen Praxis die Auffassung, dass die voraussichtlichen Umsatzumverteilungen als solche kein maßgebliches Kriterium für die mit dem Begriff ?schädliche Auswirkungen? erfassten Funktionsstörungen sein kann. Vielmehr sieht es das OVG in erster Line als ausschlaggebend an, welche Verkaufsfläche der jeweils in Rede stehende Betrieb im Vergleich zu der gesamten Verkaufsfläche derselben Branche in dem zentralen Versorgungsbereich hat, auf den er nach den bereits genannten Kriterien einwirkt.


Im konkreten Fall wurden die schädlichen Auswirkungen bejaht, da die geplante neue Verkaufsfläche im Bereich Unterhaltungselektronik mit rund 2.250 m² immerhin 75 % der im Versorgungsbereich bereits vorhandenen Gesamtverkaufsfläche betrug. Da auch der angestrebte Umsatz rund 60 % des im Versorgungsbereich getätigten Umsatzes betrug, ist nach den Ausführungen des OVG ohne weiteres davon auszugehen, dass die Auswirkungen auf den zentralen Versorgungsbereich als beachtliche Funktionsstörungen und damit als schädlichen Auswirkungen im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB einzustufen sind.
Unabhängig vom konkreten Fall hat das OVG noch darauf hingewiesen, dass in Anlehnung an das System des § 11 Abs. 3 BauNVO mit seiner in Satz 3 enthaltenen Vermutungsregel davon auszugehen ist, dass es einen bestimmten Prozentsatz des Anteils der branchenspezifischen Verkaufsfläche im vorhandenen Versorgungsbereich gibt, bei dessen Überschreiten im Sinne einer Vermutung angenommen werden kann, dass das betreffende Vorhaben schädliche Auswirkungen erwarten lässt. Es wäre dann Sache des Vorhabenträgers, objektive baurechtlich relevante Aspekte anzuführen und ggf. nachzuweisen, die diese Vermutung widerlegen.