Vertrauensschutz des Arbeitgebers bei nicht rechtzeitigen Massenentlassungsanzeigen

01.01.2012

Vertrauensschutz des Arbeitgebers bei nicht rechtzeitigen Massenentlassungsanzeigen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat seine bisherige Rechtsprechung geändert und die Regelung zur Massenentlassungsanzeige des Arbeitgebers im Kündigungsschutzgesetz europarechtskonform ausgelegt. Der 2. Senat hatte im März 2006 festgestellt, dass die Anzeige bei der Agentur für Arbeit rechtzeitig vor Erklärung der Kündigungen erfolgen müsse und auf ein in dieser Frage im Januar 2005 ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verwiesen. Jetzt hat der 6. Senat des BAG (Urteil vom 13.07.2006, 6 AZR 198/06) zur Grenze des dem Arbeitgeber zu gewährenden Vertrauensschutzes entschieden, dessen schutzwürdiges Vertrauen sei nicht bereits mit Bekanntwerden dieser EuGHEntscheidung entfallen.

Der EuGH hatte am 27.01.2005 in der Rechtssache «Junk» entschieden, sog. dass die Massenentlassungsrichtlinie (RL 98/59/EG) dahin auszulegen sei, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers als «Entlassung» im Sinn der Richtlinie gelte. Diese Richtlinie war durch die §§ 17 ff. KSchG in das deutsche Arbeitsrecht umgesetzt worden. Der 2. Senat des BAG gab daraufhin mit Urteil vom 23.03.2006 (2 AZR 343/05) seine bisherige anders lautende Rechtsprechung auf. Er legte § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG richtlinienkonform aus und entschied, die Anzeige des Arbeitgebers bei der Agentur für Arbeit habe vor Erklärung der Kündigungen zu erfolgen. Die Arbeitsrichter machten aber die Einschränkung, dass zumindest bis zum Bekanntwerden der EuGH-Entscheidung die Arbeitgeber auf die bisherige ständige Rechtsprechung des BAG und die durchgängige Verwaltungspraxis der Agenturen für Arbeit vertrauen dürften, wonach die Anzeige auch noch nach Erklärung der Kündigungen habe erfolgen können.

Jetzt hat sich auch der 6. Senat des BAG zum Umfang des Vertrauensschutzes geäußert, der dem Arbeitgeber zu gewähren sei. Er entschied, dessen Vertrauen sei dann nicht mehr schutzwürdig, wenn die für die Anwendung und Ausführung der §§ 17 ff. KSchG zuständige Arbeitsverwaltung ihre frühere Rechtsauffassung geändert habe und dies dem Arbeitgeber habe bekannt sein müssen. Dieser Entscheidung lag der Fall zugrunde, dass eine Arbeitnehmerin seit 1988 bei einer Firma beschäftigt war, über deren Vermögen im März 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der in diesem Verfahren beklagte Insolvenzverwalter vereinbarte mit dem Betriebsrat einen Interessensausgleich, der die Personalreduzierung um 13 Mitarbeiter von insgesamt 75 Beschäftigten vorsah. Ende März 2005 kündigte der Insolvenzverwalter die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer, erstattete aber erst im April 2005 die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit.

Das ArbG hatte zunächst der Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin stattgegeben, das Landesarbeitsgericht wies ihre Klage dagegen ab. Jetzt war die Revision vor dem BAG erfolgreich. Der 6. Senat wies den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurück. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, es bedürfe noch der Aufklärung durch das LAG als Berufungsgericht, ob im Zeitpunkt der Kündigung durch den Insolvenzverwalter die Änderung der Rechtsauffassung der Arbeitsverwaltung derart bekannt gegeben war, dass von ihm Kenntnisname habe erwartet werden können.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Joachim Krumb, Fachanwalt für Verwaltungsrecht