Eine Feststellungsklage auf Erlass oder Änderung von Rechtsverordnungen ist zulässig und einer Verpflichtungsklage vorgreiflich

01.01.2012

Eine Feststellungsklage auf Erlass oder Änderung von Rechtsverordnungen ist zulässig und einer Verpflichtungsklage vorgreiflich

Nach einem jetzt bekannt gewordenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 17.01.2006 (1 BvR 541/02, 542/02) kann ein Bürger, der sich durch eine Rechtsverordnung in seinem Recht auf Gleichbehandlung verletzt sieht, im Weg einer Feststellungsklage die Feststellung begehren, dass der Normgeber die bestehende Rechtsverordnung ändern oder eine neue erlassen muss.

Die Beschwerdeführer des vom BVerfG entschiedenen Rechtsstreits sind Landwirte. Sie beantragten beim Amt für Agrarstruktur die Gewährung von Ausgleichszahlungen für den Anbau von Getreide und Eiweißpflanzen auf der Grundlage der Kulturpflanzen- Ausgleichszahlungsverordnung. Danach berechnete sich die Höhe der Ausgleichszahlung nach den Getreidedurchschnittserträgen für die Erzeugungsregion, in der sich die bewirtschaftete Fläche befand. Die Verordnung wies 13 der 16 Bundesländer als jeweils eine Erzeugungsregion aus; in Brandenburg und Rheinland- Pfalz gab es je zwei solcher Regionen. Niedersachsen, in dem sich die landwirtschaftlichen Betriebe der Beschwerdeführer befinden, wurde in zehn Erzeugungsregionen aufgeteilt. Den Beschwerdeführern wurden Ausgleichzahlungen unter Zugrundelegung der Erzeugungsregion 7 bewilligt. Hiergegen legten sie jeweils Widerspruch ein mit dem Ziel, Zahlungen auf der Grundlage einer Einstufung in eine günstigere Erzeugungsregion zu erhalten. Die Widersprüche und die sich anschließenden Klagen vor den Verwaltungsgerichten blieben erfolglos. Zur Begründung führten die Gerichte aus, dass sie die Verordnung zwar wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz für verfassungswidrig hielten. Gleichwohl könnten sie den Verpflichtungsklagen nicht stattgeben, da es wegen der Verfassungswidrigkeit der Regelung keine Rechtsgrundlage für die Berechnung der Ausgleichszahlungen gebe. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die gegen die gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen erhobenen Verfassungsbeschwerden als unzulässig verworfen.

Das BVerfG bemängelte, dass es die Beschwerdeführer unterlassen hätten, vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde eine Feststellungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Verwaltungsgericht zu erheben. Die Beschwerdeführer hätten mit der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage zwar einen zulässigen Rechtsweg beschritten, der auch zu einer inzidenten Überprüfung der Rechtsverordnung geführt habe. Diese Klage habe im vorliegenden Fall aber nicht zum Erfolg führen können. Die Auffassung der Verwaltungsgerichte, sie könnten den Verpflichtungsklagen nicht stattgeben, da es dem Ermessen des Normgebers überlassen bleiben müsse, wie die aus der Verfassungswidrigkeit resultierende Lücke zu schließen sei, beanstandeten die Verfassungsrichter nicht.

Der Verordnungsgeber habe hier zwischen mehreren denkbaren und verfassungsrechtlich zulässigen Lösungen wählen können. Das Verwaltungsgericht habe im Rahmen einer Verpflichtungsklage auch nicht die Möglichkeit, den Normgeber zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung zu zwingen. Die Beschwerdeführer hätten jedoch vor den Verwaltungsgerichten eine Feststellungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland richten können mit dem Ziel festzustellen, dass sie durch die Verordnung in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt worden seien. Bei einer solchen Klage gegen den Normgeber handele es sich nicht um eine Umgehung der in § 47 VwGO nur für Landesrechtsverordnungen vorgesehenen Normenkontrolle. Dem System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes könne nicht entnommen werden, dass außerhalb des § 47 VwGO die Überprüfung von Rechtssetzungsakten ausgeschlossen sein solle. Auf dieser Grundlage könne im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegenüber dem Normgeber auch die Feststellung begehrt werden, dass das Recht der Kläger auf Gleichbehandlung den Erlass oder die Änderung einer Rechtsverordnung gebiete.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht