Nachprüfungsantrag kann trotz eigenem "rechtmäßigem" Ausschluss aus dem Vergabeverfahren zulässig sein

01.01.2012

Nachprüfungsantrag kann trotz eigenem

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren mit Beschluss vom 06.03.2006 (11 Verg 11/05) entschieden, dass eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und eine Interessenbeeinträchtigung eines Antragstellers auch dann zu bejahen ist, wenn hinsichtlich aller Angebote - also auch des Angebots des Antragstellers - ein zwingender Ausschlussgrund vorliegt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Gleichartigkeit der Mängel im Rahmen einer bestimmten Position eines Leistungsverzeichnisses oder in anderen für die Angebotswertung relevanten Bereichen vorliegt.

Die Polizei Hessen wollte im sog. offenen Verfahren Einsatzanzüge einkaufen. Die Bieter mussten mit den Angeboten verschiedene Protokolle und Prüfungsnachweise vorlegen. Kein einziges Angebot enthielt alle geforderten Nachweise. Trotzdem kam es zum Zuschlag. Daraufhin griff einer der ausgeschlossenen Bieter die zu Gunsten seines Konkurrenten gefällte Vergabeentscheidung an.

Das OLG sah die Vergabeentscheidung als vergaberechtswidrig an, weil das bevorzugte Angebot wegen fehlender Nachweise gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A zwingend auszuschließen gewesen wäre. Den Ausschluss könne unter Berufung auf das Gleichbehandlungsgebot auch ein Bieter durchsetzen, der wegen eigener Angebotsfehler selbst ausgeschlossen worden sei. Das Vergabeverfahren müsse aufgehoben werden, damit bei einer Neuausschreibung alle Bieter eine erneute Zuschlagchance erhalten. Auf die Gleichartigkeit von Angebotsfehlern kommt es dabei nicht an.

Die Situation, dass in einem Vergabeverfahren alle Angebote wegen formaler Fehler ausgeschlossen werden müssen, ist kein Einzelfall. Das OLG Frankfurt schließt in derartigen Fällen die Möglichkeit aus, dass der Auftraggeber dennoch einen Bieter auswählt und nur dessen Mitbewerber ausschließt. Mit dieser Entscheidung widerspricht das OLG Frankfurt anders lautenden Entscheidungen der Oberlandesgerichte Jena, Naumburg und Koblenz. Wegen dieser Divergenz zwischen den genannten Gerichten muss das Hauptsacheverfahren dem BGH zur Entscheidung über die Reichweite des Gleichbehandlungsgebotes vorgelegt werden. Eine entsprechende Vorlage war hier bei der Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde nicht der Fall (GWB § 118 Abs. 1, § 124 Abs. 2).

Das OLG hebt in seinem Beschluss allerdings hervor, dass am Vergabeverfahren nur noch zwei Bieter beteiligt waren. Daraus könnte gefolgert werden, dass nur dann, wenn der zwingende Ausschluss sämtlicher Angebote auf der Hand liegt, die Auftragchance durch eine Neuausschreibung geltend gemacht werden kann. Unzulässig bliebe dagegen dann wohl auch weiterhin ein Nachprüfungsantrag durch einen auszuschließenden Bieter, der nur allgemein vermutet, dass auch alle anderen Angebote fehlerhaft sind.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Jochen Zweschper, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht