Kein vorbeugender Rechtsschutz gegen Installation einer Überwachungskamera an einem öffentlichen Platz

01.01.2012

Kein vorbeugender Rechtsschutz gegen Installation einer Überwachungskamera an einem öffentlichen Platz

Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) München hat sich mit Beschluss vom 03.04.2006 (24 ZB 06.50) zu der Frage geäußert, ob und inwieweit ein vorbeugender Rechtsschutz gegen die Installation öffentlicher Überwachungskameras möglich ist. Grundsätzlich hat er festgehalten, dass dann, wenn die Verletzung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen durch tatsächliches Verwaltungshandeln droht, die Möglichkeit besteht, hiergegen im Wege der vorbeugenden Unterlassungsklage Rechtsschutz zu erlangen, wenn die Beeinträchtigung von relevantem Gewicht ist und ein weiteres Zuwarten mit nicht zumutbaren Nachteilen verbunden wäre. Eine vorbeugende Unterlassungsklage gegen Realakte scheide hingegen grundsätzlich dann aus, wenn die mögliche Verletzung grundrechtlich geschützter Positionen nur dadurch eintreten kann, dass der Betroffene selbst die Beeinträchtigung bewusst und willentlich herbeiführe.

Der Kläger des vom VGH entschiedenen Verfahrens begehrte die Verpflichtung der Beklagten, die Installation einer Überwachungskamera an einem öffentlichen Platz zu unterlassen. Die Beklagte hat auf dem öffentlich gewidmeten Neupfarrplatz über den Mauerresten einer ehemaligen jüdischen Synagoge ein Bodenkunstwerk errichten lassen. Im Juli 2005 wurde dieses der Öffentlichkeit übergeben. Nach der Satzung über die Benutzung des Bodenreliefs am Neupfarrplatz (?) vom 1. September 2005 stellt das Kunstwerk einen "Ort der Begegnung" dar. Die Beklagte beabsichtigte nunmehr, das Kunstwerk zum Schutz vor zweckfremder Nutzung oder Beschädigung mittels Videokameras überwachen zu lassen. Zu diesem Zweck sollten vier Überwachungskameras in der Nähe des Kunstwerks angebracht werden. Hinweisschilder sollen über die Überwachungsmaßnahmen informieren. Am 2. August 2005 erhob der Kläger, ein in Regensburg ansässiger Rechtsanwalt, beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die Videoüberwachung mit befristeter Aufzeichnung der Karavan-Begegnungsstätte an der Westseite der Neupfarrkirche zu unterlassen. Er trug vor, das drohende Verwaltungshandeln verletze sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Er halte sich regelmäßig am Neupfarrplatz auf.

Das Verwaltungsgericht Regensburg wies die Klage mit Urteil vom 22. Dezember 2005 ab. Sie sei zwar zulässig, da der Verweis auf nachträglichen Rechtsschutz für den Kläger mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre. Auch das öffentliche Interesse erfordere die Zulassung vorbeugenden Rechtsschutzes. Die Klage sei aber unbegründet, da die geplante Videoüberwachung rechtmäßig sei. Die Befugnis hierzu folge aus der Aufgabe der Beklagten als Trägerin einer gemeindlichen öffentlichen Einrichtung. In dieser Funktion sei sie verpflichtet, die mit hohem Kostenaufwand hergestellte öffentliche Einrichtung vor Beschädigungen zu schützen. Die geplante Videoüberwachung entspreche auch den Vorgaben des Bayerischen Datenschutzgesetzes. Hiergegen richtete sich der Antrag auf Zulassung der Berufung vom 2. Januar 2006.

Der VGH verneinte das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Vielmehr erweise sich das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis als zutreffend, weil die Klage bereits unzulässig sei. Bei dieser Sachlage könne eine Zulassung der Berufung nicht in Betracht kommen. Die Klage auf Verurteilung der Beklagten, die Videoüberwachung mit befristeter Aufzeichnung der Karavan-Begegnungsstätte zu unterlassen, sei unzulässig, weil der Kläger kein rechtlich schützenswertes Interesse an der vorbeugenden Unterlassungsverpflichtung geltend machen könne.

Nach den Feststellungen des Gerichts stehe fest, dass die Beklagte derzeit nur beabsichtige, das Kunstwerk am Neupfarrplatz durch Videokameras überwachen zu lassen. Konkrete Hinweise, Anhaltspunkte oder Aussagen, welche einen Anhalt dafür bieten könnten, dass die Beklagte in absehbarer Zeit auch beabsichtige, die Ergebnisse der Überwachung aufzuzeichnen, seien nicht gegeben. Ein öffentlichrechtlicher Unterlassungsanspruch könne zwar grundsätzlich im Rahmen einer vorbeugenden Unterlassungsklage geltend gemacht werden. Dies setze aber voraus, dass ein besonderes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzbedürfnis. Drohe die Verletzung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen durch tatsächliches Verwaltungshandeln, bestünde die Möglichkeit, hiergegen im Wege der vorbeugenden Unterlassungsklage Rechtsschutz zu erlangen, wenn die Beeinträchtigung von relevantem Gewicht sei und ein weiteres Zuwarten mit nicht zumutbaren Nachteilen verbunden wäre.

Ausgehend hiervon erweise sich die Klage als unzulässig, soweit sie sich darauf bezieht, der Beklagten eine Aufzeichnung zu untersagen. Solange von der Beklagten nämlich gar nicht beabsichtigt sei, eine Aufzeichnung der gewonnenen Daten vorzunehmen und dies in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten ist, besteht für den Kläger kein schützenswertes Interesse, der Beklagten dies vorläufig zu untersagen.

Ein besonderes Interesse an der vorbeugenden Untersagung könne auch hinsichtlich der Videoüberwachung nicht festgestellt werden. Der Kläger berufe sich hierbei zentral und ausschließlich auf sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches er durch die geplanten Maßnahmen der Beklagten beeinträchtigt sehe. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleiste die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle Selbstbestimmung" seien nur im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig. Sie bedürften einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen müsse. Bildaufnahmen auf öffentlichen Plätzen seien grundsätzlich geeignet, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu tangieren. Durch die an öffentlichen Plätzen installierten Kameras würden Verhaltensweisen (Bewegungen, Aufenthalte, Gespräche, persönliche Eigenarten und vieles mehr) und das Äußere (Geschlecht, Größe, Hautfarbe, Kleidung, allgemeine Erscheinung usw.) von Bürgern registriert. Solche Überwachungen seien grundsätzlich geeignet, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu tangieren, da im Prinzip jedermann selbst bestimmen könne, ob er fotografiert oder aufgenommen werden dürfe.

Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von relevantem Gewicht, welches hier die Zulassung vorbeugenden Rechtsschutzes erfordern würde, liege im Fall des Klägers jedoch nicht vor. Vielmehr werde er durch die geplante Videoüberwachung der Beklagten nur mittelbar und in sehr geringem Umfang tangiert. Es spreche vieles dafür, dass ein Eingriff in Grundrechte des Klägers hier nicht gegeben sei. Selbst wenn man aber einen Eingriff annehmen sollte, wäre dieser so gering, dass er es nicht erfordern würde, die Rechtmäßigkeit des Eingriffs im Rahmen eines vorbeugenden Rechtsschutzverfahrens zu überprüfen. Es sei dem Kläger offensichtlich zumutbar, seine Rechte im Wege nachträglichen Rechtsschutzes geltend zu machen. Gegenstand der Überwachung sei allein das im Eigentum der Stadt stehende Kunstwerk mit einer Fläche von ca. 200 qm, nicht hingegen der umgebende Platz. Erfasst von der Überwachung werde somit nur ein sehr kleiner Teil des Platzes. Der Kläger selbst werde überhaupt nur dann von den Überwachungskameras erfasst, wenn er sich unmittelbar auf dem Objekt aufhalten sollte. Dass er dies beabsichtige, habe er jedoch zu keinem Zeitpunkt kundgetan.

Der Kläger habe auch jederzeit die Möglichkeit, den überwachten Bereich zu umgehen. Nachdem sich die Überwachungskameras auf das Kunstwerk beschränkten, stelle es für den Kläger keinerlei Schwierigkeit dar, mit etwas Abstand zum Kunstwerk sich einer Überwachung zu entziehen. Der Kläger wäre also nur dann von den Videokameras überwacht, wenn er dies auch beabsichtige. Eine gegen seinen Willen stattfindende Überwachung sei nicht denkbar.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht