Fluggäste haben Anspruch auf Entschädigung

01.01.2012

Fluggäste haben auch weiterhin Anspruch auf Entschädigung bei Verspätungen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 10.01.2006 (C-344/04) entschieden, dass die 2004 erlassene EU-Verordnung 261/2004, nach der bei erheblichen Verspätungen oder der Annullierung von Flügen an den betroffenen Fluggast eine Entschädigung zu zahlen ist, rechtswirksam ist. Die Verordnung verstoße weder gegen das Montrealer Übereinkommen noch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

In dem vom EuGH entschiedenen Fall hatten die International Air Transport Association (IATA) und die European Low Fares Airline Association (ELFAA) beim High Court of Justice (England & Wales) die Durchführung der EUVerordnung durch das Vereinigte Königreich beanstandet. Bei der IATA handelt es sich um einen Verband von 270 Fluggesellschaften aus 130 Ländern, die 98 Prozent der internationalen Linienfluggäste befördern. Die ELFAA vertritt die Interessen von zehn europäischen Niedrigtarif-Fluggesellschaften aus neun europäischen Ländern. In dem Verfahren vor dem High Court haben die Verbände unter anderem die Gültigkeit der EU-Verordnung in Frage gestellt. Das nationale Gericht nahm dies zum Anlass, die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Nach der vom EuGH für wirksam erklärten Verordnung können Fluggäste bei der Annullierung eines Fluges zwischen einer Erstattung der Flugticketkosten und anderweitiger Beförderung zum Endziel durch das Luftfahrtunternehmen wählen. Darüber hinaus haben sie auch einen Anspruch auf unentgeltliche Betreuungsleistungen wie Bewirtung, Telefongespräche und gegebenenfalls Hotelunterbringung sowie auf Ausgleichszahlungen, deren Höhe sich nach der jeweiligen Entfernungskategorie richtet. Diese Ausgleichszahlungen werden allerdings nicht geschuldet, wenn das Luftfahrtunternehmen über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der Abflugzeit informiert oder eine zufrieden stellende anderweitige Beförderung anbietet oder wenn es nachweisen kann, dass der Annullierung außergewöhnliche Umstände zugrunde liegen. Im Fall der Verspätung eines Fluges über eine bestimmte, sich nach der Entfernung richtende Dauer hinaus werden dem Fluggast Betreuungsleistungen angeboten.

Bei einer Verspätung von mehr als fünf Stunden wird ihm auf jeden Fall die Erstattung angeboten. Der EuGH stellte zunächst die Vereinbarkeit der Verordnung mit dem Übereinkommen von Montreal fest. Dieses Übereinkommen vereinheitlicht bestimmte Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr und regelt unter anderem die Haftung des Luftverkehrsunternehmens im Fall der Verspätung. Allerdings betrifft diese Regelung nach Ansicht des EuGH nur die Frage, unter welchen Voraussetzungen Fluggäste im Anschluss an die Verspätung eines Fluges Ansprüche auf Schadensersatz als individuelle Wiedergutmachung gegen die Beförderungsunternehmen geltend machen könnten, die für einen aus dieser Verspätung entstandenen Schaden die Verantwortung trügen. Die in der EU-Verordnung vorgesehenen Unterstützungs- und Betreuungsleistungen für die Fluggäste im Fall der
erheblichen Verspätung eines Fluges stellten hingegen standardisierte sofortige Maßnahmen zur Wiedergutmachung dar. Sie gehörten nicht zu den Maßnahmen, deren Voraussetzungen das Übereinkommen festlege. Daher könnten sie nicht als mit dem Übereinkommen von Montreal unvereinbar angesehen werden. Der EuGH ist ferner der Auffassung, dass die beanstandeten Regelungen auch hinreichend begründet sind und dem Grundsatz der Rechtssicherheit gerecht werden. Denn sie legten deutlich und klar die dem Luftfahrtunternehmen obliegenden Verpflichtungen fest. Auch brächten sie das verfolgte Ziel in seinen wesentlichen Zügen zum Ausdruck. Der europäische Gerichtshof verneinte auch einen Verstoß der Entschädigungsregelungen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die für den Fall der Annullierung oder erheblichen Verspätung von Flügen vorgesehenen Maßnahmen seien geeignet, bestimmte von Fluggästen erlittene Schäden unmittelbar wieder gutzumachen. Ihr Umfang richte sich nach der Schwere des Schadens, der den Fluggästen
entstanden sei.

Schließlich erscheine der Ausgleich, den die Fluggäste beanspruchen könnten, wenn sie verspätet von der Annullierung eines Fluges unterrichtet würden, als dem angestrebten Ziel nicht offensichtlich unangemessen. Denn es sei ein Befreiungsgrund vorgesehen, auf den sich die Beförderungsunternehmen gegebenenfalls berufen könnten. Der Ausgleich sei auch seiner Höhe nach nicht übermäßig. Er entspreche unter Berücksichtigung der Inflation im Wesentlichen dem Ausgleich, der in der früheren Verordnung vorgesehen gewesen sei.

Außerdem erkannte der EuGH auch keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Unternehmen in den verschiedenen Beförderungssektoren könnten nicht miteinander verglichen werden. So befänden sich die Kunden einer Fluggesellschaft im Falle einer Annullierung oder erheblichen Verspätung eines Fluges in einer objektiv anderen Situation als Reisende mit anderen Beförderungsmitteln im Fall gleichartiger Vorkommnisse. Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
lasse sich auch nicht daraus ableiten, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber alle Luftfahrtgesellschaften unabhängig von ihrer Preispolitik gleich behandelt habe. Denn den Fluggästen der Luftfahrtunternehmen entstehe im Fall der Annullierung oder erheblichen Verspätung von Flügen ein Schaden, der unabhängig davon sei, ob der ursprüngliche Vertrag mit einer Billigfluglinie oder einer teuren Airline geschlossen worden war.

Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Joachim Krumb, Fachanwalt für Verwaltungsrecht