Anforderungen an die Rechtfertigung einer Veränderungssperre

15.10.2021

Erlässt eine Gemeinde eine Veränderungssperre, müssen damit positive städtebauliche Planungsabsichten verbunden sein. Die Anforderungen hieran hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) jüngst näher definiert (Urteil vom 11.05.2021 – 4 C 3070/19.N).

Ausgangslage der Entscheidung

Im Mai 2019 beantragte eine Bauträgergesellschaft eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit zwei Vollgeschossen und einem Staffelgeschoss (Länge des straßenseitigen Erdgeschosses 23m, Höhe des Gebäudes 10m). Die Grundstücke im Planungsgebiet – unbeplanter Innenbereich – waren ansonsten zu einem großen Teil durch eine kleinteilige Bebauung mit häufig großen rückwärtigen Gärten gekennzeichnet.

Den Bauantrag der Bauträgergesellschaft lehnte die Bauaufsicht mit Bescheid vom 11. Dezember 2019 ab. Dies begründete die Behörde damit, dass das Bauvorhaben städtebauliche Spannungen hervorrufen würde und daher planungsrechtlich unzulässig sei.

Sodann beschloss die Stadtverordnetenversammlung am 12. Dezember 2019 die Aufstellung eines Bebauungsplans für den Stadtteil E, wo sich auch das Grundstück der Bauträgergesellschaft befand. Den Aufstellungsbeschluss begründete sie damit, dass es für das Plangebiet derzeit keinen Bebauungsplan gebe, sodass Bauvorhaben nach 34 BauGB zu beurteilen seien. Im Hinblick auf die in diesem Plangebiet wiederholt erfolgten formlosen Anfragen und Bauanträge bestehe Bedarf, das Gebiet zeitgemäß städtebaulich zu ordnen und zu entwickeln. Zugleich beschloss die Stadt eine Veränderungssperre.

Am 19. Dezember 2019 stellte die Bauträgergesellschaft einen Normenkontrollantrag gegen die Veränderungssperre. Diesen begründete die Bauträgergesellschaft insbesondere mit dem Argument, die Planung erschöpfte sich darin, Vorhaben nach dem „optisch geschmacklichen Ermessen“ des Amtes für Stadtentwicklung zu verhindern.

Entscheidung des VGH

Der VGH schloss sich zunächst die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG; Beschluss vom 18. Dezember 1990 – 4 NB 8.90) an. Für eine Veränderungssperre gemäß § 14 BauGB sei es grundsätzlich erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Gemeinde zum maßgeblichen Zeitpunkt zumindest Vorstellungen über die Art der baulichen Nutzung habe. Dieser Vorstellung könne sowohl ein bestimmter Baugebietstyp zugrunde liegen als auch eine nach den Vorschriften des § 9 Abs. 1 bis 2a BauGB festsetzbare Nutzung. Jedenfalls ein Mindestmaß an planerischen Vorstellungen müsse somit vorliegen, um eine Veränderungssperre zu rechtfertigen. Zugleich müsse sie geeignet sein, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB zu steuern, wenn sie über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu befinden hat. Ein detailliertes und abgewogenes Planungskonzept ist nach der Rechtsprechung dabei nicht erforderlich.

Im vorliegenden Fall zielte die Gemeinde darauf ab, die Entwicklung des Bereiches mit einer kleinteiligen Bebauungsstruktur abzusichern, so wie diese im Plangebiet bereits überwiegend vorhanden war. Dem stand gemäß dem VGH Kassel auch nicht entgegen, dass der Begriff der „kleinteiligen Bebauung“ nach Ansicht der Bauträgergesellschaft zu unpräzise sei. Schon aus dem Wortlaut ergebe sich, dass eine kleinteilige Bebauung aus „kleinen Teilen“, also kleineren Bauten, besteht und damit den Gegensatz zu einer größeren Blockbebauung darstellt.

Durch die gemeindliche Planung werde nach Ansicht des Senates zudem deutlich, dass eine zukünftige Bebauung mit Häusern, die die Flächen der Grundstücke im Plangebiet fast vollständig versiegeln würde, generell nicht zulässig sein soll.

Das beabsichtigte Vorhaben der Bauträgergesellschaft werde zwar in der Begründung der Veränderungssperre explizit aufgegriffen und als mit der beabsichtigten Planung der Gemeinde nicht vereinbar qualifiziert. Die Veränderungssperre diene aber auch dazu, künftige Vorhaben zu verhindern, die keine kleinteilige Bebauung vorsehen und/oder die Grundfläche des Grundstücks fast vollständig versiegeln.

Nicht erforderlich sei es, dass die Gemeinde zum Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre Angaben zu den im zukünftigen Bebauungsplan geplanten konkreten textlichen Festsetzung trifft.

Der VGH Kassel stellte in seinem Urteil nochmals klar, dass Festsetzungen in einen Bebauungsplan als Negativplanung nur dann unzulässig sind, wenn die positiven städtebaulichen Planungsabsichten nicht den planerischen Willen der Gemeinde entsprechen, sondern nur vorgeschoben sind, um eine andere Nutzung zu verhindern. Letzteres kann aber nicht schon dann angenommen werden, wenn die negative Zielrichtung, das heißt die bloße Verhinderungsabsicht, im Vordergrund steht. Auch eine Planung, die zunächst nur eine – aus Sicht der Gemeinde – drohende Fehlentwicklung verhindern soll, kann rechtlich nicht zu beanstanden sein (vgl. Beschluss des Senats vom 12. Mai 2011 – 4 C308/10.N).

Fazit

Insgesamt sind die Anforderungen an eine bestimmte planerische Konzeption im Hinblick auf die Veränderungssperre somit gering. Auch die Annahme einer reinen Verhinderungsplanung gestaltet sich angesichts der bestehenden Rechtsprechung als nur schwer beweisbar und dürfte in der Praxis weiterhin nur den Ausnahmefall darstellen.